Gib jedem, der dich bittet

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euch, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd! Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!
Lukas 6, 27-31
Ich sitze in einem Café und arbeite. Ich hatte heute früh schon einen Termin in Osnabrück und muss jetzt bis zu meinem nächsten Termin warten. Also habe ich meinen Laptop in einem kleinen Café aufgebaut. Ich sitze hier schon eine ganze Weile und denke über das Evangelium für dieses Bibelfenster nach: Feindesliebe, ich soll die segnen, die mich verfluchen, für die beten, die mich beschimpfen, die andere Wange hinhalten usw. … Puh. Altbekanntes Thema, aber immer wieder eine Herausforderung. Deswegen arbeite ich erstmal wieder etwas anderes ab, vielleicht kommt mir zwischendurch ein Gedanke zum Bibelfenster …
Im Café wird es voller, so dass mich ein älterer Herr fragt, ob er sich mit an meinen Tisch setzen darf. Ich lade ihn herzlich ein. Er stört mich ja nicht, hier ist auch locker Platz genug, und ich kann ihn sogar bitten, kurz auf meine Sachen aufzupassen, während ich mal die Toilette aufsuche. Irgendwann verabschiedet sich der Herr. Wir wechseln nett ein paar Sätze, dann bin ich wieder allein an meinem Tisch – und grübele weiter über das Bibelfenster nach: Liebt eure Feinde … Hab ich Feinde? Tut denen Gutes, die euch hassen. Oh Gott, wer hasst mich denn? Verflucht und beschimpft werde ich auch nicht, zumindest nicht in meiner Anwesenheit … Schlagen tut mich auch niemand, aber ich bin nicht sicher, ob ich die andere Wange hinhalten würde oder könnte, wenn es jemand täte … Puh, der Text macht es mir nicht leicht …
Das Bibelfenster
Hier kommentieren jede Woche Menschen aus dem Bistum Osnabrück eine Bibelstelle aus einer der aktuellen Sonntagslesungen – pointiert, modern und vor allem ganz persönlich.
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Dann fragt eine junge Frau, ob sie sich zu mir setzen darf – selbstverständlich! Kurze Zeit später wird sie aufgerufen, um ihr fertiges Mittagessen abzuholen und kommt damit zurück an den Tisch. Als sie sitzt, wünsche ich ihr einen guten Appetit. Dann passiert etwas, was ich so noch nie erlebt habe: Die junge, mir wildfremde Frau, bedankt sich und fragt, ob ich auch etwas möchte! Das hat mich in so einer Situation noch nie jemand gefragt. Darüber muss ich nachdenken, und in dem Moment bedenke ich auch mit, dass die junge Frau ein Kopftuch trägt … Ich vermute, sie hat es gerade in diesen Zeiten nicht immer nur leicht hier in Deutschland. Ich kann mir vorstellen, dass sie es bestimmt schon erlebt hat, beschimpft zu werden. Sie spürt vielleicht den Hass, den einige ihr gegenüber hegen, nur weil sie ein Kopftuch trägt. Diese Menschen sehen vom Typ her vermutlich so ähnlich aus wie ich – und sie bietet mir etwas von ihrem Essen an.
Die Bibel ist ein Buch des Lebens und nicht selten kann vor allem das Leben die biblischen Texte deuten und auslegen …
Als die junge Frau ihr Essen verspeist hat, frage ich sie, ob sie noch etwas möchte, ich würde mir noch einen Kaffee holen und ihr gerne etwas mitbringen. Sie lehnt dankend ab und sagt, sie müsse nun weiter. Ich finde es ein bisschen schade, dass die Begegnung nun vorbei ist, bin aber glücklich und dankbar, sie erlebt zu haben – und das nicht nur, weil sich mein Bibelfenster nun wie von selbst schreibt! Ich weiß: Ich werde zukünftig auf jeden Fall noch gastfreundlicher mit meinen zufälligen Begegnungen umgehen, egal ob Freund oder Feind.
Eva Schumacher