Gute Geschichten

Mensch geht übers Wasser
Bild: AdobeStock.com, Bonsales

„Du musst es nicht nur ausprobieren wollen, du musst es wollen“, sagt er. Ich kann seinen Blick durch die Sonnenbrille nicht erkennen, als er mich ernst ansieht. Er dreht sich zur Seite und geht noch einen Schritt näher ans Flussufer heran; dann bückt er sich, um einen Kiesel aufzuheben, den er lässig über die Wellen hüpfen lässt, auf denen schon die Frühlingssonne glitzert.

Das könnte jetzt aus einem Filmskript stammen, denke ich, aber der Satz ist echt und ja auch ziemlich wahr.

In guten Geschichten passiert sowas: Prägnante Sätze, die ziemlich wahr sind, und dazu stimmungsvolles Licht auf dem Wasser.

Vielleicht war es auch so, als Petrus aus dem Boot gestiegen ist, nachts auf dem See Genezareth, auf dem das Mondlicht schwappte wie ein Vanillesoßefleck. Drumherum schwarze, schmatzende Wellen. Petrus wollte das ausprobieren, wollte glauben, wollte die Herausforderung, mal etwas ganz Unmögliches tun – lass mich auf dem Wasser zu dir laufen. Und Jesus sagte, jesustypisch: Ja dann komm halt, mach einfach. Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. Nun ist es auf dem Wasser bekanntermaßen oft sehr windig, dass kann irritieren, und verständlicherweise bekam Petrus Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: „Du Kleingläubiger, du musst es nicht nur ausprobieren wollen, du musst es wollen!“ Petrus spürte Jesus festen Griff am Arm und blickte ihm ein wenig überrascht, ein wenig ertappt, fest in die Augen, aber das schummrige Mondlicht reichte nicht aus, um Jesus Blick zu erkennen. Das kalte Wasser zu Petrus Füßen fühlte sich wieder etwas fester an. Das ist so verdammt schwer, dachte Petrus, ich will das ja. Klar will ich das, aber die Wellen sind halt doch so tiefschwarz und der Wind wurde grade echt heftig … aber er sagte es nicht, weil er vor Jesus nicht so weinerlich klingen wollte. Und jetzt war der ja auch neben ihm. Gemeinsam gingen sie zurück zum Boot. Petrus Schritte fühlten sich wieder leichter an. „Auf dem Wasser is‘ das nunmal kein Spaziergang“, sagte Jesus seemannsweise und als hätte er gehört, was Petrus gedacht hatte. Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. „Ich weiß das doch“, zischte Petrus Jesus zu, und der hob nur vielsagend die Augenbrauen.*

Über die Autorin

Katie Westphal ist Pastoralreferentin. Sie schreibt Texte über Lebens- und Alltagsfragen und ist immer auf der Suche nach der richtigen Hintergrundmusik. Außerdem erzählt sie gern davon, wie es ist, Christin und Feministin zu sein: Eine gute Kombination, wie sie findet.

In guten Geschichten passiert genau sowas: Wahre Sätze, Spannung, Dunkelheit auf dem Wasser.

Und einer, der trotzdem da ist. Auch wenn es schwerfällt, zu hoffen, Mut zu haben, eine Besserung zu erwarten, sich ein glückliches Ende auszumalen, weiterzugehen. Obwohl vieles oder sogar alles dagegenspricht. Obwohl ja auch andere da sind, die das Ganze schwer machen oder sogar unmöglich scheinen lassen. Dann muss da nur einer sein, der sagt: Ok, trotzdem, und ich bin ja auch da.

In guten Geschichten passiert sowas. Aber die guten Geschichten, die müssen wir genauso wollen.

*Textstellen, die nicht von der Autorin selbst stammen, sind entnommen aus Matthäus 14,29ff Einheitsübersetzung

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