Hören für ein Leben in Freiheit

Rehe mit großen Ohren im Schnee
Bild: unsplash.com, JF Brou

Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem. Als er zwölf Jahre alt geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch entsprach. Nachdem die Festtage zu Ende waren, machten sie sich auf den Heimweg. Der Knabe Jesus aber blieb in Jerusalem, ohne dass seine Eltern es merkten. Sie meinten, er sei in der Pilgergruppe, und reisten eine Tagesstrecke weit; dann suchten sie ihn bei den Verwandten und Bekannten. Als sie ihn nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten nach ihm. Da geschah es, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten. Als seine Eltern ihn sahen, waren sie voll Staunen und seine Mutter sagte zu ihm: Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Da sagte er zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? Doch sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen gesagt hatte. Dann kehrte er mit ihnen nach Nazareth zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte all die Worte in ihrem Herzen. Jesus aber wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.

Lukas 2, 41-52

 

Wahrhaftig keine Familienidylle, die uns im heutigen Evangelium vor Augen geführt wird. Der junge Jesus scheint seinen eigenen Kopf zu haben und bleibt in Jerusalem – ohne dass seine Eltern es merken. Aber dann die Wende: Er geht mit den Eltern zurück nach Nazareth und „war ihnen gehorsam“.
Beim Wort „gehorsam“ bleibe ich gedanklich hängen. Was ist das für ein Gehorsam? Ich denke schnell an ein Machtgefüge, bei dem einer von „oben“ sagt, was Menschen „unten“ zu tun haben. Gehorsam gegenüber den Eltern war lange Zeit ein Erziehungsideal. Manchmal wurde dieser „Gehorsam“ in Abhängigkeitsbeziehungen auch missbraucht.

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„Gehorsam“ kommt von horchen, hören, hinhören. Es geht darum, sich auf den anderen einzustellen, nicht nur seine Worte, sondern auch seine Bedürfnisse, Gefühle und Erwartungen wahrzunehmen. Die alte Gehorsamserziehung diente mitunter der Entmündigung. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Jesus selbst ist das beste Beispiel:

Er lernte in seiner Familie und seiner Umgebung das Beten, die Kenntnis der Schrift, den Weg Gottes mit seinem Volk. Er war ein Hörender, ein Gehorchender Zeit seines Lebens. Seine Begegnungen, seine Heilungen waren nicht geplant, sondern Folge seines Hinhörens auf die Bedürfnisse und Nöte der Menschen. Aus diesem Hören erwuchsen dann Einsichten und Antworten, die den Menschen Hilfestellung und Unterstützung für ihr Leben boten, für ein Leben in Freiheit und Eigenverantwortlichkeit.

Christian Adolf