Hoffnungs-Spiegelungen
Rückwärts betrachtet ist das Leben Nebel. Darauf weist mich die erste Seite eines Buches mit 24 Inspirationen hin, das mir eine liebe Person schenkte. Ich benutze es in diesem Jahr als Adventskalender. Also, wenn man das Wort „Leben“ rückwärts liest, steht da Nebel. So fühlt es sich bisweilen ja an, häufiger noch, wenn ich voraus statt zurück schaue. Oft auch, wenn es um das Hier und Jetzt geht.
Alles Nebel, nicht nur, weil der Dezemberanfang nieselig trübe daherkommt, sondern insgesamt. Ich will eigentlich gar nicht über die allgemeine Weltlage schreiben, nicht schon wieder. Das Buch [1] tut das allerdings auch, in der Einleitung steht etwas von eigentlich ist die Welt ja echt zum Verzweifeln UND gleichzeitig muss es die Hoffnung geben. Die Autorin schreibt von Gleichzeitigkeit. Ich ertappe mich dabei, wie ich denke: Davon reden wir ja auch ständig, vom Trotzdem, von der unmöglichen (oder „unverschämten“, wie letztens jemand sagte, das mochte ich) Hoffnung, für die wir Kirchenleute ja ehrlicherweise als Influencer:innen eingestellt sind. Meist bin ich froh, diesen Auftrag zu haben; an manchen Tagen kann ich ihn selbst nicht mehr hören, weil er mir dann wie eine Ausflucht daherkommt, aber meist halte ich ihn schon für eine verdammt gute Idee. Die Wahrheit ist schließlich auch: Ich und wir, wir haben ja auch keine praktische Lösung für das ganze Grau.
Über die Autorin
Katie Westphal ist Pastoralreferentin. Sie schreibt Texte über Lebens- und Alltagsfragen und ist immer auf der Suche nach der richtigen Hintergrundmusik. Außerdem erzählt sie gern davon, wie es ist, Christin und Feministin zu sein: Eine gute Kombination, wie sie findet.
Das Leben also ist gerade gefühlt noch nebliger als sonst. Die erste Doppelseite des Buches zeigt eine blasse, in nordischem Grau vernebelte Strandlandschaft mit ein paar Bäumen dort, wo das feuchte Grün in Sand und schließlich Meeressaum übergeht. Und im Himmel schweben, als wäre das zweite die Erklärung für das erste, nur die beiden Wörter Leben und Nebel. Es könnte eine Ostseestrand sein. Das wiederum erinnert mich an das Buch, das ich gerade wieder lese: Sansibar oder der letzte Grund von Alfred Andersch, es spielt 1937 an der Ostsee, auch da ist alles neblig trüb. In einem kleinen Fischerdorf ist man auf der Hut vor „den Anderen“; Hauptpersonen sind eine Jüdin, ein Kommunist, ein Fischer und ein Pfarrer – und eine Holzskulptur, die der Pfarrer vor den Anderen in Sicherheit bringen will. Sie wollen raus, sie hinterfragen das Leben an sich und die Zukunft: Was bietet das Leben noch und wo findet es statt, und wo ist eigentlich Gott – der Pfarrer ist sich gewiss, dass Gott zwar da, aber wirklich einfach in sehr weiter Ferne ist bei all dem, was eben auf der Welt passiert: „Irgendein verrückter Eigensinn lässt mich noch an jenen Herrn glauben, der sich in Honolulu oder auf dem Orion befindet, ich glaube an die Ferne Gottes, aber nicht an das Nichts“[2], denkt er einmal.
Gott im Nebel, irgendwie. Und ich habe das Gefühl, dazu gerade gar nichts Kluges sagen zu können, was nicht schon gesagt wurde. Wir haben Advent, da kann man Kerzen anzünden im Nebel, vielleicht. Und sich doch mal die Zeit nehmen, über die Frage nachzudenken, die gerade auf einem Plakat vor unserer Kirche hängt: „Worauf wartest Du?“ Natürlich: Auf ein Lichten des Nebels für ein Fleckchen Himmel. Himmel also, bloß wo? Nebel-Winter-Zeit ist für mich auch eine Häufiger-Tee-Trinken-Zeit. Ich finde die Teebeutel super, auf deren Zettelchen so eine kleine Weisheit steht, manchmal erklären die einem die Welt. Ohne Witz: Als wir kürzlich in unserer Kaffeeküche standen und übers Krippenspiel beratschlagten, zog ich einen Teebeutel aus dem Papier, auf dessen Zettel zu lesen war: „Der Weg ist immer besser als die schönste Herberge“. Weiß nicht, was Maria dazu gesagt hätte. Auf jeden Fall fiel mir heute, als ich über die Nebel-Thematik nachdachte, folgender Teebeutelspruch in die Hände: „Noch die kleinste Pfütze spiegelt den Himmel“.
Super. Man kann das für kitschig halten. Ich weiß nicht, ob sich daraus eine überzeugende Predigt machen ließe. Aber vielleicht ist ja was dran: Den Himmel, das kleine Glück, das Trotzdem-Leuchten, die Hoffnung, nicht am nebligen Himmel suchen, sondern öfter mal nach unten schauen! Oder: In eine Pfütze springen. Etwas besseres fällt mir gerade auch nicht ein.
[1] Das Buch ist übrigens – unbezahlte eigenverantwortliche Werbung – empfehlenswert. Es heißt „Hoffnung, die leuchtet“ und kommt von Jasmin Sturm.
[2] Andersch, Alfred, Sansibar oder der letzte Grund, Diogenes 2006, 171.