Im Land der Heiden

Hütte am See
Bild: pixabay.com, Ervin Gjata

Als Jesus hörte, dass Johannes ausgeliefert worden war, kehrte er nach Galiliäa zurück. Er verließ Nazareth, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali. Denn es sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa: Das Volk, das im Dunkel saß, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen. Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, genannt Petrus, und seinen Bruder Andreas; sie warfen gerade ihr Netz in den See, denn sie waren Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach! Als er weiterging, sah er zwei andere Brüder, Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren mit ihrem Vater Zebedäus im Boot und richteten ihre Netze her. Er rief sie und sogleich verließen sie das Boot und ihren Vater und folgten Jesus nach. Er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden.

Matthäus 4,12-23

Der Text erzählt vom ersten Wirken Jesu. Ausgerechnet im „Land der Heiden“ beginnt er seine Verkündigung. Und dann kommt er auch noch aus Nazareth und will in Kafarnaum wohnen. Kafarnaum trägt den Dorftitel schon im Namen: Dorf des Naum, so heißt das übersetzt. Ein Haus am See, würde mancher heutzutage sagen, aber für die Zeitgenossen damals eine langweilige und trostlose, – aus Sicht der religiösen und gesellschaftlichen Elite auch noch ungläubige Gegend. Wie kann es sein, dass der Retter von dort und eben nicht aus Judäa oder Jerusalem kommt?

Drastischer als Matthäus bringt das Johannes Evangelium die Anfrage auf den Punkt: „Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ (Johannes 1,46) Matthäus kennt diese Bedenken und kommt ihnen deshalb in der Abfassung seiner Jesus-Erzählung zuvor mit der Autorität des Propheten Jesaja; seine Autorität soll alle Vorurteile aus dem Weg räumen. Der Prophet selbst hat das Licht angekündigt, das aus dem Dunkel des Unglaubens in Galiläa aufscheint.

Papst Benedikt XVI. schreibt dazu im ersten Band seiner Jesus Trilogie „Gerade das, was in den Augen vieler gegen die messianische Sendung Jesu spricht – sein Herkommen aus Nazareth, aus Galiläa -, ist in Wirklichkeit der Erweis seiner göttlichen Sendung.“

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Jesu Geburt, seine Herkunft und sein Leben, nicht zuletzt auch sein Tod am Kreuz sprechen tatsächlich eine deutliche Sprache: Seine Botschaft vom Reich Gottes kennt keine Grenzen; sie ist an alle Menschen gerichtet; er wendet sich insbesondere den Menschen am Rande zu, verspricht Hoffnung den Trostlosen und Trauernden, Gerechtigkeit den von Krieg, Verfolgung, Unterdrückung und Ausbeutung Bedrängten. Er ist nicht nur der Lehrer der Gebildeten und Etablierten – der religiösen Eliten, sondern Erlöser und Heiler aller Menschen.

Vorurteile sind oft hartnäckiger als Fakten. Auch heute. Wer im Armen- oder Unruheviertel einer Stadt geboren wird, wer einen „verdächtigen“ Namen trägt, die „falsche“ Religion oder einen Migrationshintergrund hat, wer Bürgergeld bezieht und keine Arbeit hat, dem wird es oftmals schwer gemacht. Was soll von da schon Gutes kommen?

So besehen könnte die Frage der Zeitgenossen Jesu nach seiner Herkunft auch heute ein heilsames Korrektiv sein, die eigenen Vorurteile und Abgrenzungen zu überprüfen.

Diakon Gerrit Schulte