In liebevoller Erinnerung: Papst Franziskus und seine Werke

Martina Kreidler-Kos ist Leiterin des Seelsorgeamts im Bistum Osnabrück, Expertin für Fragen rund um den Heiligen Franziskus und Papst-Kennerin. In ihrem persönlichen Nachruf blickt sie an dieser Stelle zurück auf Papst Franziskus‘ Leben und Wirken und kommentiert Meilensteine seines Pontifikats. Wer lieber schauen als lesen mag, findet eine gekürzte Version des Textes als Video unten auf dieser Seite.

Martina Kreidler-Kos
Martina Kreidler-Kos

Zwanzig Jahre bevor der erste Lateinamerikaner zum Papst gewählt wurde, schrieb der deutsche Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch ein nachdenkliches Gedicht über den heiligen Franziskus:

Alle kennen ihn / Na sagt doch jeder / Das ist doch der mit den Tieren / Klar das ist doch der mit den Spatzen / Der Franz / Der hat sich tatsächlich mit denen unterhalten / Der Franziskus / Der Franz von Assisi / Alle kennen ihn / Alle lieben ihn / Ja wenn der Papst wäre / Sagen viele / Dann würde ich gerne wieder meine Kirchensteuer zahlen / Dann sähe heute vieles anders aus …

Selbstverständlich ist Franz von Assisi nicht Papst geworden als am 13. März 2013 der damals 76-jährige Argentinier Jorge Mario Bergoglio auf die Segensloggia trat und sich der Menge auf dem regennassen Petersplatz mit dem Namen „Franziskus“ vorstellte. Aber damit sah bereits an diesem ersten Abend tatsächlich manches anders aus: Der überraschend klar programmatische Name, der Verzicht auf die roten Schuhe, das lebensnahe „Buona sera!“ zur Begrüßung und die schlichte Bitte um ein gemeinsames „Vater unser“ vor dem Segen für alle – vom ersten Moment an konnte man in dieser Bescheidenheit und Gradlinigkeit den frischen Wind spüren, der von nun an den Heiligen Stuhl umwehen sollte: Der neue Papst blieb im Gästehaus Santa Martha wohnen, behielt sein metallenes Kreuz um den Hals, wählte als erstes Reiseziel Lampedusa, damaliger Brennpunkt der europäischen Flüchtlingspolitik, und die Fußwaschung am Gründonnerstag sollte von nun an keine rituelle Belohnung mehr für besonders eifrige Kardinäle sein, sondern in Gefängnissen oder Einrichtungen für Menschen mit Handicap stattfinden.

Kritik und Liebe

Und es blieb nicht nur bei einem neuen Stil im Vatikan. Mit seiner geharnischten Weihnachtsansprache 2014 konfrontierte Franziskus die Kurie mit der unverblümten Warnung vor Krankheiten wie „spiritueller Demenz“, „Totengräbermine“ oder „Autoritätshörigkeit“. Für die erste von ihm verantwortete Bischofssynode – eine Institution, die bislang herzlich wenig Anlass zur Aufregung bot – wählte er die so lange tabuisierten Fragen rund um Liebe, Partnerschaft und Sexualität. Auch wenn der tiefe Graben zwischen der Lehre der Kirche und dem Leben der Menschen noch nicht zu schließen war, so sollte doch wenigstens endlich nach Lösungen gesucht werden. Nicht nur, dass erstmals das Kirchenvolk vorbereitend mitbefragt wurde; die Ergebnisse des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia (2016) machten viele Konservative nervös. Weil sie den deutlichen Hinweis erhielten, „moralische Gesetze“ nicht weiter wie „Felsblöcke“ auf das Leben von Menschen zu werfen (AL 305). Auch wenn etwa die Möglichkeit des Kommunionempfangs für geschieden wiederverheiratete Paare in eine Fußnote rutschte, nicht nur sie stand schwarz auf weiß in diesem lehramtlichen Schreiben. Und schon die erste programmatische Schrift, so etwas wie Franziskus‘ „Regierungserklärung“, Evangelii gaudium vom November 2013, sprach eine deutliche Sprache: konsequent den Menschen zugewandt. Niemand wird je mehr das so erfrischende wie ikonisch gewordenen Bild der „verbeulten Kirche“ vergessen: eine Kirche, „die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist“, die diesem Papst so viel lieber war „als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist“ (EG 49).

Die Sorge für das gemeinsame Haus

Und Franziskus wurde im Laufe seines Pontifikates immer politischer: Seine beiden Enzykliken Laudato si (2015) und Fratelli tutti (2020) haben eine deutlich gesellschaftskritische Botschaft und gehen weit über den Tellerrand der katholischen Kirche hinaus. Mit Laudato si wandte sich dieser Papst ausdrücklich „an jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt“ (LS 3) und der Untertitel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“, machte klar: Das hier geht alle an. Für die einen war es ein Ärgernis, für die anderen wohltuend, dass Franziskus mit den weltberühmten Worten des Sonnengesangs von Franz von Assisi die eigene Kirche so lautstark an ihre Schöpfungsverantwortung erinnerte und sich in politische wie gesellschaftlich brisante Debatten einmischte. Denn mit Laudato si schrieb er nicht einfach eine (erste!) Umweltenzyklika, er legte eine Gerechtigkeitsenzyklika vor, die sich gewaschen hatte: Es sind die Schwächsten, die am stärksten von der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen betroffen sind. Sozial wie ökologisch braucht es weltweite Lösungen und zwar dringend und auch die Religionen, so Franziskus entschieden, haben ihre Weisheit, Kraft und Selbstkritik dazu beizutragen.

Die Sorge für das gemeinsame Haus durchzog Franziskus‘ gesamtes Pontifikat, das nicht nur im Zeichen des Klimawandels stand, sondern auch von der Corona-Pandemie gezeichnet war. Unvergessen auch dieser regennasse Abend, diesmal auf dem völlig verlassenen Petersplatz: Franziskus‘ einsame Palmsonntagsliturgie im März 2020 und der außerordentliche Urbi et Orbi Segen für die pandemiegebeutelte Menschheit. Unter dem Eindruck dieser bedrohlichen Erfahrung entstand seine zweite Enzyklika Fratelli tutti, die er symbolträchtig am 3. Oktober 2020 in Assisi am Grab und Sterbeabend des heiligen Franziskus unterzeichnete. Auch darin widmete er sich leidenschaftlich dem großen Ganzen: der Idee einer besseren Weltgesellschaft, „in der es Platz für alle gibt […], und in der die verschiedenen Kulturen respektiert werden“. (FT 155) Grundlage dafür ist die vorbehaltlose Anerkennung der Würde jedes einzelnen Menschen. Damit knüpfte er an Laudato si an, aber auch an die nicht ganz so viel beachtete, ebenfalls bahnbrechende Erklärung von Abu Dhabi, die er gemeinsam mit dem Großimam Ahmad Al-Tayyeb am 4. Februar 2019 unterzeichnet hatte. Franziskus entfaltete in Fratelli tutti seinen Traum von einer neuen, geschwisterlichen Welt und erhob damit die Vision einer Menschheitsfamilie zur offiziellen Lehre der Kirche. Wieder wählte er den heiligen Franziskus als Patron für diesen Traum und wieder legte er eine Gegenwartsanalyse vor, diesmal mit dem klaren Fokus auf der sozialen Welt. Sie fiel düster aus: Die Gewalt in der Welt „hat Züge dessen angenommen, was man einen dritten Weltkrieg in Abschnitten nennen könnte“ (FT 25).

Ein Mann des Dialogs

Das Thema des interreligiösen Dialogs war Franziskus sein ganzes Pontifikat hindurch ein Herzensanliegen. Für die Erklärung von Abu Dhabi wurde er aus den eigenen Reihen scharf angegriffen. Man warf ihm vor, den Wahrheitsanspruch des Christlichen aufzugeben und einen „Weltreligioneneinheitsbrei“ zu fördern. Mit dem souveränen Verweis auf die Erklärung des Zweiten Vatikanums über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) unterstrich dieser Papst noch einmal die Überzeugung, dass die Kirche „das Handeln Gottes in anderen Religionen schätzt“ (FT 277). „Andere nähren sich aus anderen Quellen“, schrieb er, „für uns liegt die Quelle der Menschenwürde und Geschwisterlichkeit im Evangelium Jesu Christi.“ (FT 277) Deshalb fand auch sein herzerfrischendes Zitat aus dem erfolgreichen Filmportrait von Wim Wenders in diesem Lehrschreiben Platz: „Gott schaut nicht mit den Augen. Gott schaut mit dem Herzen. Und Gottes Liebe ist für jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion. Und wenn er Atheist ist, ist es die gleiche Liebe. Wenn der jüngste Tag kommt und es genug Licht auf der Erde gibt, um die Dinge so zu sehen, wie sie sind, werden wir viele Überraschungen erleben.“ (FT 281)

Nicht immer gelang es Franziskus, sich so klar gegen die vielen Kritiker und Kritikerinnen in der eigenen Kirche zur Wehr zu setzen. Vor allem in den Sozialen Netzwerken waren diffamierende und beschämende Kampagnen zu beobachten. Die, die sich als besonders konservativ gerierten, verließen in dem Augenblick ihre eigenen Prinzipien, in denen ihnen der amtierende Papst zu wenig konservativ erschien. Aber auch viele Menschen, die sich klare Reformen wünschten, sahen sich von diesem Papst zunehmend enttäuscht. Er wurde oft als zu zögerlich, schlingernd oder gar mutlos beschrieben. Immer das Prinzip des Zuhörens und der Unterscheidung stärkend, wollte er den Konflikten Zeit geben. Manche hat er mit dieser Geduld über Gebühr strapaziert. Im Sommer 2013 konnte die Welt in einem Interview für die Jesuitenzeitschriften erstmals lesen, was den Menschen Jorge Mario Bergolio geprägt hatte, was ihn beschäftigte und vor allem, wie er als Papst sein Amt zu gestalten gedachte. In diesem Gespräch mit Antonio Spadaro (SJ), tauchte vieles bereits auf, was am Ende sein Pontifikat ausmachte. Zum Thema Führung befragt, sagte er damals: „Ich höre gewisse Personen, die mir sagen: ‚Man soll nicht zu viel beraten, sondern entscheiden.‘ Ich glaube jedoch, dass die Konsultation sehr wichtig ist.“ (42)

Frauen und Synodalität

So sehr er „heiße Eisen“ angepackt hatte, manche hat er tatsächlich auch liegen lassen. Mit dem Frauenthema etwa schien er sich Zeit seines Lebens nicht wirklich beschäftigen zu wollen. Vielleicht lag das auch daran, dass im männerzentrierten Vatikan das Thema nicht halb so deutlich vor Augen steht, wie im Rest der Welt. Immerhin hatte er einer Ordensfrau und Kurienbeamtin, Nathalie Becquart aus Frankreich, hohe Verantwortung für die Weltsynode übertragen und noch Anfang des Jahres 2025 verfügt, dass mit einer weiteren Ordensschwester, Simona Brambilla, erstmals eine Frau ein Dikasterium leitet. Jenseits dieser Personalentscheidungen, im Frühsommer 2016 flammte kurz die verwegene Hoffnung auf, Franziskus könne sich dem Thema „Diakonat der Frau“ mit ernsthaftem Veränderungswillen widmen. Nach der Audienz für mehr als 900 Generealoberinnen aus der ganzen Welt, die ihm dieses Thema dringend ans Herz gelegt hatten, schien er sich dieser Frage stellen zu wollen und richtete eine Kommission zur näheren Untersuchung ein. Im Verlauf geriet diese allerdings zu einer kontrovers besetzten Gruppe, die am Ende lediglich die Historie dieses Themas untersuchen sollte. Vielleicht waren hier die Gegenkräfte zu stark und die Eigeninitiative zu schwach. Einmal sagte dieser Papst unverstellt: „Ich wage mit dieser Frage nicht vor den Herrn zu treten.“

Weitere Infos

Gedenk-Gottesdienst, Glockenläuten, Gebet und Erinnerung – weitere Informationen zum Tod von Papst Franziskus finden Sie hier auf der Übersichtsseite.

Franziskus war weder für seine theologische Stringenz noch für seine brillante Rhetorik bekannt. Sein Stil waren die großen Linien, der heilige Zorn, die packenden Bilder. Er schrieb in einfacher Sprache, damit er von allen verstanden werden konnte und stellte seine Nähe zu den ganz normalen Menschen in seinen Themen und Formulierungen, in seinen Reisen und Telefonaten unverdrossen unter Beweis. Er sah nicht nur die Kirche als Hirtin, sondern wollte selbst immer ein Hirte sein und bleiben. Sein Vorbild, das sagte er einmal, waren die Landpfarrer seiner Heimat, die die Menschen besuchten und nicht nur ihre Namen kannten, sondern sogar die Namen ihrer Hunde. „Stellen sie sich vor, sogar die Namen der Hunde!“ Neben all dieser persönlichen Liebenswürdigkeit kennzeichneten zwei große Begriffe sein Pontifikat: Barmherzigkeit und Synodalität. Dass dieser Papst die Barmherzigkeit im Mittelpunkt kirchlichen Handelns wissen wollte, zeigen unzählige seiner vielen kleinen und großen Gesten aber auch die Initiative, 2015/2016 ein außerordentliches „Jahr der Barmherzigkeit“ auszurufen. Er wollte, dass alle Katholiken und Katholikinnen sich erinnerten: Nicht die Menschen sind dazu da, der Kirche zu gefallen, sondern die Kirche ist dazu da, Menschen zu unterstützen, zu trösten, zu stärken, froh zu machen. Die konsequente und programmatische „Option für die Armen“, die er selbst immer als Motivation für seine Namenswahl erachtet hatte, prägte dabei seinen Blick auf Welt und Kirche. Und dann war da das zweite große Programm, das Franziskus als Papst nach vorne brachte: Synodalität – gemeinsam beraten und entscheiden. Schon im Herbst 2015, anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Weltbischofssynode, hat er den mutigen Satz geprägt: „Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.“ Der weltweite synodale Weg (2021-2024) „Für eine synodale Kirche. Gemeinschaft. Teilhabe. Sendung“ mit stimmberechtigten Laien, Männern und Frauen, war ein beherzter und wirkmächtiger Anfang. Ende November 2024 noch verfügte Papst Franziskus, dass das gemeinsam erarbeitete Abschlussdokument zum authentischen Lehramt der Kirche zu rechnen sein.

Zwei Wünsche

Mich begleitet schon sehr lange und dankbar eine Ermutigung dieses Papstes, die ich durchaus persönlich nehme. Ich denke, das ist auch angemessen, denn sie steht in jenem Brief, den Franziskus im Juni 2019 „an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ geschrieben hat und da zähle ich mich sehr gerne dazu. Dort schreibt er zum Vorhaben des Synodalen Weges unserer Ortskirche: „Ich möchte euch zur Seite stehen und euch begleiten in der Gewissheit, dass, wenn der Herr uns für würdig hält, diese Stunde zu leben, Er das nicht getan hat, um uns angesichts der Herausforderungen zu beschämen oder zu lähmen. Vielmehr will er, dass Sein Wort einmal mehr unser Herz herausfordert und entzündet, wie Er es bei euren Vätern getan hat, damit eure Söhne und Töchter Visionen und eure Alten wieder prophetische Träume haben (vgl. Joel 3,1).“

Gott im Himmel hielt Jorge Mario Bergoglio offensichtlich für würdig, zwölf Jahre lang die katholische Kirche auf Erden zu leiten. Das hat der Argentinier mit Wärme und Verve gleichermaßen getan und hat damit einen Frühling für diese Kirche spürbar werden lassen, der Veränderungen den Weg bereitet. Sein Erbe und unser Auftrag ist, diesen frischen Wind nicht wieder zu ersticken, sondern im Gegenteil, weiter wirken zu lassen, weiter zu verstärken. Ich wünsche ihm von Herzen das Willkommen in Gottes neuer Welt und die Freude an den vielen Überraschungen, von denen er geträumt hat. Uns allen aber wünsche ich, dass nach dem kommenden Konklave, wenn der weiße Rauch aufgestiegen ist und auf der Segensloggia über dem Petersplatz der neue Papst erscheint, er uns sagen wird: „Ich bin Franziskus, der Zweite!“


Der Text im Video: Wer lieber schauen als lesen mag, ist hier richtig:

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.