Kernkompetenz Spiritualität
In jener Zeit kam Jesus in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.
Lukas 10,38-42
„Wir produzieren Sicherheit!“ So lautete in den 70er Jahren ein Werbeslogan der Bundeswehr. Die anderen kümmern sich um das Bruttosozialprodukt, wir sorgen dafür, dass genau das in Ruhe passieren kann.
„Wir produzieren Kirche“ scheint das Leitmotiv in unseren Kirchengemeinden zu sein. Macher und Macherinnen werden gebraucht und gesucht. Machen macht mächtig. Die Kirche braucht doch starke Typen, will sie in dieser Zeit wirken, meinen tatsächlich viele Christen – auch in den oberen Etagen der Kirche.
Braucht es tatsächlich die Macher und Macherinnen? Ein gewisser Herr Lukas hatte da schon im ersten Jahrhundert seine Zweifel. Darum schreibt er den Menschen seiner Gemeinde die obige Erzählung ins Stammbuch. Seine bis heute provokante These: Die Kirche lebt zuallererst daraus, dass sie auf Jesus schaut. Kontemplation steht vor jeder Aktion – und diese mündet dahin wieder hinein.
Aber nur mit Beten gewinnt man doch kein Vertrauen zurück; die Krisen der Kirche, ihr gesellschaftlicher Vertrauensverlust und der Schwund an Mitgliedern lässt sich doch nicht einfach „wegbeten“, werden viele jetzt einwerfen. Stimmt. Spiritualität soll nicht gegen Relevanz ausgespielt werden. Aber ohne die eigentliche Kernkompetenz von Kirche, das Einüben und Vermitteln von Spiritualität, gewinnt sie nicht nur nicht ihre Relevanz für die Menschen zurück, sondern verliert auch noch das letzten Bisschen davon.
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Strukturwandel und Spiritualität gehören immer zusammen. Das wusste auch schon Teresa von Avila, die im 16. Jahrhundert nicht nur ihren Orden reformierte, sondern dadurch mitwirkte an der damals (und auch heute) notwendigen Reform der gesamten Kirche. Ihre Definition von Gebet ist bis heute gültig: Beten ist wie das Sprechen mit einem Freund wohl wissend, dass er doch der Herr ist.
„Herr Pastor, könnten Sie statt dessen nicht etwas Sinnvolles tun?“ Das war die ehrlich erstaunte Rückfrage einer Dame als ich in einem Gespräch auf das kirchliche Stundengebet hinwies, welches den Klerikern und Ordensleuten aufgetragen ist. Gebet ist kein Luxus – und darf kein Luxusgut werden. Gebet ist ein Lebensmittel für den ganzen Menschen.
„Öffne meine Augen, Herr“, so beginnt ein Hymnus im Stundenbuch. Ja, die „Mystik der offenen Augen“ (J. B. Metz) ist zentral für die Kirche. Die Not der Kirche, der Welt und ihrer Menschen sehen, dann die Augen schließen und auf IHN schauen und erst danach: machen! Sonst machen wir nur Murks!
Pastor Michael Lier