Kraft für die Wahrheit
Jesus ging mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Auf dem Weg fragte er die Jünger: Für wen halten mich die Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist der Christus! Doch er gebot ihnen, niemandem etwas über ihn zu sagen. Dann begann er, sie darüber zu belehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete mit Freimut darüber. Da nahm ihn Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen. Jesus aber wandte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus mit den Worten zurecht: Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen. Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.
Markus 8,27-35
Dass sich auf die Ankündigung von Leiden und Tod Widerstand regt, ist wohl verständlich. Wenn ein Mensch einem anderen mitteilt, dass bei ihm eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde und der nur noch einige Monate, vielleicht ein Jahr zu leben habe, regt sich in der Betroffenheit zugleich so etwas wie Widerspruch. Man kann es selber nicht fassen, dass ein Leben in besten Jahren zu Ende gehen soll. Spontan möchte man antworten: „Was – das darf doch nicht wahr sein!“ Vielleicht verbietet man sich die spontane Reaktion und schweigt fürs erste lieber. Aber man wird zugeben: Es ist nicht leicht, das, was der andere ausspricht, als Wahrheit zu akzeptieren.
So wie es ja auch nicht leicht ist, die eigenen Lebenswahrheit anzuschauen und zu akzeptieren. Das Zulassen von Wirklichkeit erfordert Kraft. Denn sie eine Auseinandersetzung mit bzw. eine Verabschiedung von Träumen, die man sich gemacht hat. Feststellen zu müssen, dass die eigene Lebenslinie durchkreuzt wurde. Sich einzugestehen, dass man früher einmal eine falsche Entscheidung getroffen hat und nun mit den bitteren Folgen leben muss. Ehrlich zugeben, dass man Schuld auf sich geladen hat, ahnen zu müssen, wie mit den Mustern der eigenen Lebensbewältigung lange Schatten verbunden sind – das und Ähnliches verwickelt die einzelne Seele mit sich. Sie braucht Zeit und Kraft, bis sie sich die Wahrheit eingesteht und dieser Wahrheit gegenüber gehorsam wird.
Wie einem Menschen der Blick auf sich selber schwerfällt, so auch der Blick auf das Leben eines anderen Menschen – vor allem, wenn dort Einbrüche kundgetan werden, die Not und Angst mit sich bringen.
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Auf dem Hintergrund dieser Erfahrung wird verständlich, dass Petrus Widerstand leistet, als Jesus offen über seine Lebensaussichten spricht. Jesus reagiert schroff: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen!“ – so, als wolle er sich in der Erkenntnis seiner Lebenswahrheit nicht irremachen lassen, so, als wolle er eine Versuchung abwehren.
Menschlich gesehen dürfte es auch bei Jesus ein weiter Schritt gewesen sein, von der allmählich immer deutlicher werdenden Erkenntnis: „Mein Weg wird gewaltsam enden!“ zur Anerkenntnis dieser Wahrheit zu kommen. Denn es ist ein mühsamer Weg von der Ahnung der Möglichkeit des nahebevorstehenden und gewaltsamen Lebensendes bis zur Hineingabe und zur Einstimmung in diese Wahrheit.
Pater Franz Richardt