Lebensglaube
Jesus fuhr wieder ans andere Ufer hinüber und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war, kam einer der Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt! Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn. Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt. Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden. Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt? Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt? Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte. Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
Markus 5,21-34
Jesus nennt diesen unbedingten Willen der Frau, die schon viele Jahre an Blutungen litt und endlich geheilt werden möchte, „Glauben“: „Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden, du sollst von deinem Leiden geheilt sein.“ Christoph Theobald macht in seinem Buch „Christentum als Stil“ auf diese Aussage Jesu aufmerksam. Er meint: Es ist eine wesentliche Aufgabe von uns in der Kirche, uns – so wie Jesus – von dem Lebenswillen der Leute, von ihrer Kompetenz der Alltagsbewältigung, von ihrer Lebensklugheit beeindrucken zu lassen. Mag ihre Art, sich dem Glauben zu nähern, uns möglicherweise manchmal etwas magisch oder fremd vorkommen, so wie die Bewegung der kranken Frau, die glaubt, nur die Berührung des Gewandes Jesu wird sie schon gesund werden lassen, so verdient diese Art des „Glaubens“ doch Respekt.
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Wir werden staunen, was uns aufgeht, wenn wir mit dieser Haltung auf die Menschen zugehen. Wenn sie merken, dass wir von ihnen nicht zuerst verlangen, sich nach unseren Normvorstellungen zu richten, sondern dass wir ihre Anstrengung, das Leben zu meistern, wertschätzen, werden sie auch uns offener und entgegenkommender begegnen. Wenn wir sie nicht zuerst defizitär betrachten, sondern ihre Lebenstüchtigkeit, ihre Gestaltungskraft, ihren Willen zum Guten sehen und ihre manchmal vielleicht etwas scheue Art, von ihrem Glauben zu sprechen, wertschätzen, bewegen wir uns auf einem Weg, auf dem sich Türen öffnen. Dann können wir besser auch von unserer Sicht der Dinge sprechen, können die Bibel gesprächsgerecht ins Gespräch bringen.
Der Evangelist Markus lässt offen, wie die Frau in ihrem weiteren Leben die Beziehung zu Jesus gestaltet hat. Ihm geht es in diesem Abschnitt vor allem darum, den Menschen zu sehen, so wie er ist; wie er versucht, sich Gott zu nähern; wie er versucht, mit dem Leben klarzukommen. Welch eine Wohltat, wenn ein Menschen in dieser seiner Lebensbewegung von Gott her hören darf: „Meine Tochter, mein Sohn, dein Glaube hat dich gerettet.“
Pater Franz Richardt