Mut zu neuen Antworten

Blick aus dem Zugfenster
Bild: unsplash.com, Dima Pechurin

„In jenen Tagen kamen einige Leute von Judäa herab und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden. Nach großer Aufregung und heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Paulus und Barnabas beschloss man, Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen sollten wegen dieser Streitfrage zu den Aposteln und zu den Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen. (…) Da beschlossen die Apostel und die Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde, Männer aus ihrer Mitte auszuwählen und sie zusammen mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu senden, nämlich Judas, genannt Barsábbas, und Silas, führende Männer unter den Brüdern. Sie gaben ihnen folgendes Schreiben mit: Die Apostel und die Ältesten, eure Brüder, grüßen die Brüder aus dem Heidentum in Antiochia, in Syrien und Kilikien. Wir haben gehört, dass einige von uns, denen wir keinen Auftrag erteilt haben, euch mit ihren Reden beunruhigt und eure Gemüter erregt haben.  Deshalb haben wir einmütig beschlossen, Männer auszuwählen und zusammen mit unseren geliebten Brüdern Barnabas und Paulus zu euch zu schicken, die beide für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, ihr Leben eingesetzt haben. Wir haben Judas und Silas abgesandt, die euch das Gleiche auch mündlich mitteilen sollen. Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!“

Apostelgeschichte 15,1-2.22-29

 

Es gibt heftigen Streit in der jungen Kirche. Wir befinden uns im Jahr 49 nach Christus: Von großer Aufregung wird berichtet, von beunruhigenden Reden und erregten Gemütern. Es geht um die Frage: Muss man zuerst Jude werden, sich beschneiden lassen, um Christ sein zu können? Zur Lösung dieses innerkirchlichen Konflikts werden Barnabas und Paulus von der Gemeinde Antiochiens nach Jerusalem zu den Aposteln gesandt. Die Zusammenkunft mit der Urgemeinde wird als „Apostelkonzil“ in die Geschichte eingehen.

Wie es sich für einen handfesten Streit gehört, liegen unterschiedliche Interpretationen zum Ergebnis vor: Die Apostelgeschichte überliefert zunächst ein Machtwort des Petrus: „Brüder, wie ihr wisst, hat Gott schon längst hier bei euch die Entscheidung getroffen, dass die Heiden durch meinen Mund das Wort des Evangeliums hören und zum Glauben gelangen sollen. Und Gott, der die Herzen kennt, bestätigte dies, indem er ihnen ebenso wie uns den Heiligen Geist gab. Er machte keinerlei Unterschied zwischen uns und ihnen; denn er hat ihre Herzen durch den Glauben gereinigt. Warum stellt ihr also jetzt Gott auf die Probe und legt den Jüngern ein Joch auf den Nacken, das weder unsere Väter noch wir tragen konnten? Wir glauben im Gegenteil, durch die Gnade Jesu, des Herrn, gerettet zu werden, auf die gleiche Weise wie jene“ (Apg 15,6-11) Fazit: Die Rettung erfolgt aus Glauben und Gnade, nicht aus dem Gesetz!

Jakobus, der angesehene Herrenbruder, meldet sich dann aber zu Wort und macht es wieder etwas komplizierter. Auch er will den Heidenchristen keine zusätzlichen Lasten aufbürden, wie er sagt, fordert aber einige Mindestregeln für das Zusammenleben, die in dem Schreiben, man könnte auch von Dekret sprechen, in der Lesung genannt werden (Apg 15,28-29); die Speisevorschriften sollten wohl den Judenchristen die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen ermöglichen. In der Politik nennt man so etwas eine Kompromissformel!

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Paulus war weniger ein Mann der Kompromisse. Er überliefert in seinem Brief an die Galater eine Darstellung des Konzils, die deutlich anders klingt. Danach ist sein Anliegen als völlig gleichberechtigt und frei von allen gesetzlichen Zwängen anerkennt worden. Von Auflagen will er nichts wissen. Wohl aber von der Freiheit des Christenmenschen. Wörtlich schreibt er: „Nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen. Denn was die falschen Brüder betrifft, jene Eindringlinge, die sich eingeschlichen hatten, um die Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, auszuspähen und uns zu versklaven, so haben wir uns ihnen keinen Augenblick unterworfen und ihnen nicht nachgegeben, damit euch die Wahrheit des Evangeliums erhalten bleibe.“ (Gal 2,3-5)

Wessen Darstellung des Apostelkonzils näher am historischen Geschehen sein mag, ist nur schwer zu klären. Es gibt Hinweise, dass Auseinandersetzungen in den Gemeinden weitergingen. Paulus schildert selbst einen heftigen Konflikt über Fragen der Tischgemeinschaft mit Petrus bei dessen Besuch in Antiochia (Gal 2,11-21). Das Apostelkonzil hat also, wie der Neutestamentler Thomas Söding sagt, keineswegs alle Probleme gelöst, wohl aber „eine historische Weichenstellung für die universale Verkündigung der Frohen Botschaft vorgenommen“.

Die Urväter in Jerusalem haben auf neue Fragen ihrer Zeit neue Antworten gefunden. Sie fanden den Mut zur Erneuerung im Vertrauen darauf, dass Jesus durch seinen Geist in der Versammlung der Gemeinde wirkt. So konnten Grenzen überwunden, Undenkbares gedacht und gemacht werden. Die Kirche braucht auch heute diesen Mut zu neuen Antworten in den Fragen unserer Zeit. Sie braucht auch den Mut, die „falschen Brüder“ zurückzuweisen, die unsere Freiheit in Christus begrenzen wollen.

Gerrit Schulte, Diakon