„Wir sind da, um das Chaos zu sortieren“
Mehr als 215 Männer und Frauen engagieren sich auf dem Gebiet des Bistums Osnabrücks als Notfallseelsorger*innen. Sie helfen Menschen, die in eine Notlage gekommen sind, zum Beispiel durch einen Unfall im Straßenverkehr. Und sie betreuen Angehörige und auch Mitglieder der Rettungsdienste. Im Bistum Osnabrück koordiniert Pastoralreferent Michael Randelhoff diese Arbeit.
Plötzlich ist man in einem anderen Leben. Gerade war es das Wichtigste auf der Welt, nur ja keine Einkäufe im Supermarkt zu vergessen oder seine ToDo-Liste im Büro abzuarbeiten. Jetzt liegt man auf der Trage des Sanitäters, weil man in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt war. Oder ein Polizist überbringt die Nachricht, dass Vater, Mutter oder der Ehepartner plötzlich verstorben ist. Das sind Momente, die das Leben auf den Kopf stellen. Und in denen es gut ist, nicht allein zu sein. „Als Notfallseelsorger sind wir da und helfen, das Chaos zu sortieren“, sagt Michael Randelhoff. Der Pastoralreferent arbeitet seit 2005 als Notfallseelsorger und hat als solcher schon die unterschiedlichsten Einsätze hinter sich.
Er und seine etwa 215 Kolleginnen und Kollegen aus den evangelischen und der katholischen Kirche kümmern sich im Bereich des Bistums Osnabrück als Notfallseelsorgerinnen nicht nur um Unfallopfer. Während der knapp 900 Einsätze im Jahr 2022 standen sie auch Hinterbliebenen, Helferinnen oder Unfallzeugen zur Verfügung. „Wir sind da, wenn die Rettungsdienste weg sind“, beschreibt Randelhoff seinen Dienst. Bei einem Unfall versorgten Einsatzkräfte den Verletzten, müssten danach aber gleich weiter. Und um Angehörige könnten sie sich oft gar nicht kümmern. Dafür sei dann der Notfallseelsorger oder die Notfallseelsorgerin vor Ort. Ihre Aufgabe falle immer unterschiedlich aus. Manchmal gehe es ums Zuhören, da sein, Handhalten. Oder man müsse Angehörige von Opfern beruhigen, ihnen erklären, warum die Polizei im Haus ist, warum sie jetzt nicht zu ihrer Frau oder ihrem Kind könnten. Manchmal helfe auch ein Ritual, wie ein Sterbesegen, um das Leid aufzufangen. „Es geht darum, die Personen nach diesem Schock für die ersten Stunden erst einmal zu stabilisieren“, so Randelhoff. Wenn das erreicht sei, könne eine weitergehende seelsorgliche oder psychologische Begleitung erfolgen.
Die Notfallseelsorge ist ökumenisch aufgestellt. „Den Menschen, die wir begleiten, ist es egal, ob der Seelsorger evangelisch oder katholisch ist.“ Das Angebot schaue auch nicht auf die Religion und Konfession der Hilfsbedürftigen.
Eine Rückmeldung von den Menschen, die begleitet wurden, bekommen die Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger meist nicht – verständlicherweise. Wichtig für die Engagierten ist allerdings, dass sie selbst eine Nachsorge nach dem Einsatz betreiben. Dafür gibt es Gesprächsangebote. Außerdem wird in der zweijährigen Vorbereitungszeit für Ehrenamtliche auf die seelische Gesundheit der Seelsorger*innen ein Schwerpunkt gelegt. „Ich bete nach jedem Einsatz und lege die Menschen und ihr Schicksal damit in Gottes Hand“, sagt Michael Randelhoff. Das helfe ihm persönlich, Abstand zu gewinnen. Außerdem treibe er als Ausgleich Sport und reflektiere die Einsätze mit Kollegen oder seiner Frau, die ebenfalls als Seelsorgerin tätig ist.
Die Mitglieder des Teams der Notfallseelsorgerinnen sind zum Teil bei der Kirche angestellt, aber auch ehrenamtlich dabei. Physiotherapeuten oder Heilpraktikerinnen sind darunter, aber auch Menschen, die in der Telefonseelsorge tätig waren oder ein ehemaliger Berufskraftfahrer, der selbst einmal die Erfahrung eines schweren Unfalls machen musste. Alle arbeiten in den einzelnen Regionen nach einem Schichtsystem, damit immer jemand ansprechbar ist, denn: „Tod oder Leid halten sich nicht an die Dienstpläne“, so Randelhoff. Seine Hoffnung ist, dass sich mehr haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende für diesen Dienst zur Verfügung stellen. „Dann wird die Arbeit auf mehr Schultern verteilt.“
Wer sich für den Dienst interessiert, sollte über physische und psychische Belastbarkeit verfügen. Außerdem Empathie und die Bereitschaft zur Supervision und Teamfähigkeit mitbringen, zählt Randelhoff auf. Die Ausbildung lohne sich nicht nur für diejenigen, denen man als Notfallseelsorgerin helfe, sondern auch für die Unterstützer selbst. „Man lernt etwas über sich und übt Dinge ein, die man auch außerhalb der Einsätze gut gebrauchen kann.“ Und die Angst, grausame Szenen bei einem Unfall zu sehen, sei unbegründet. Denn die Seelsorger hielten sich eher im Hintergrund auf.
Für Michael Randelhoff ist die Arbeit in der Notfallseelsorge eine Kernkompetenz von Kirche, ein wichtiger Dienst, den diese für Menschen in einer extremen Notlage erbringe, sagt er und fragt: „Wenn wir das als Kirche nicht machen, was wollen wir dann machen?“