Perspektiven für eine Zukunft im Nahen Osten

Wasser, Blatt, See
Bild: unsplash.com, Cole Keister

In diesen Tagen denke ich oft an die Heilig-Land-Fahrt im November 2022 zurück, an der ich teilgenommen habe. Unsere Gruppe hat da in sehr intensiven Begegnungen und im Gespräch mit Palästinensern und Juden nach Perspektiven für eine zukunftsfähige Gestaltung im Nahen Osten gefragt.

Mit dem mörderischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ist eine völlig neue Situation entstanden. Ich habe einige Tage gebraucht, um diese Zeilen nun schreiben zu können. Unbeschreiblich ist das Gemetzel gegen jüdisches Leben, diese Gnadenlosigkeit, dieser Hass, diese entfesselte Gewalt, das Töten und Verschleppen von Frauen, Kindern und Greisen. Was da geschehen ist, löst Erinnerungen an verschiedene Phasen der Geschichte aus; auch das Trauma der Schoah bricht auf. Das Trauma des Holocaust ist wieder präsent. Jede antisemitische Verletzung, jeder Anschlag auf jüdische Einrichtung stellt uns die Frage: Wie können diese Menschen in Sicherheit leben?

Im Gazastreifen weitet sich die Hass- und Gewaltspirale aus. Gaza ist ein Ort, wo Tod, Verschleppung und Zerstörung zivilen Lebens zusammenkommen. Der israelische Plan, mehr als eine Millionen Menschen aus dem nördlichen Teil des Gazastreifens zu evakuieren, was insbesondere für alte und kranke Menschen den Tod bedeuten kann, reaktiviert bei Palästinenserinnen und Palästinensern den Alptraum der Nakbar (übersetzt: Katastrophe). Mit der Nakbar wird die Vertreibung hunderttausender Palästinenser aus ihren Dörfern und Städten nach 1948 bezeichnet. Viele haben Angst, dass diese Vertreibung jetzt weitergeführt werden soll.

Über den Autor

Theo Paul ist Domkapitular und unter anderem für die Krankenhäuser, Klöster und geistlichen Orte im Bistum Osnabrück zuständig. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Als Deutsche haben wir eine besondere Verantwortung sowohl für den Holocaust als auch für die Nakbar als Folge des Holocaust wahrzunehmen. Wir müssen an der Seite der Menschen stehen. Seien wir bei allen Getöteten und Verletzen dieser großen Tragödie. Bieten wir Räume des Gespräches oder auch der Sprachlosigkeit an, wo jüdische und palästinensische Menschen die Leidensgeschichten ihrer Völker und ihre Wahrnehmung der derzeitigen Kriegssituation ausdrücken können. Hören wir ihre unterschiedlichen Klagen.

Patriarch Pierbattista Pizzaballa, lateinischer Patriarch von Jerusalem, schrieb in einem Hirtenwort am 24. Oktober 2023:

„Das anhaltende schwere Bombardement, das seit Tagen auf den Gazastreifen niedergeht, wird nur noch mehr Tod und Zerstörung verursachen und Hass und Ressentiments verstärken. Es wird kein einziges Problem lösen, sondern eher neue schaffen. Es ist an der Zeit, diesen Krieg, diese sinnlose Gewalt zu beenden. Nur wenn es gelingt, die jahrzehntelange Besetzung und ihre tragischen Folgen zu beenden und dem palästinensischen Volk eine klare und sichere nationale Perspektive zu geben, kann ein ernsthafter Friedensprozess beginnen. Solange dieses Problem nicht an der Wurzel gelöst wird, wird es niemals die Stabilität geben, auf die wir alle hoffen. Die Tragödie dieser Tage muss uns alle, die Religionen, die Politik, die Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft, zu einem ernsthafteren Engagement in dieser Hinsicht veranlassen, als es bisher geschehen ist. Nur so lassen sich weitere Tragödien wie die jetzige vermeiden. Das sind wir den vielen Opfern dieser Tage und der vergangenen Jahre schuldig. Wir haben nicht das Recht, diese Aufgabe anderen zu überlassen.“

Schreibe einen Kommentar

Die von Ihnen verfassten Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern erst nach Prüfung durch das Bistum Osnabrück. Erforderliche Felder sind mit einem * markiert. Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung.