Post aus Rom

geteiltes Brot
Bild: unsplash.com, Mike Kenneally

Sonntag: Das heißt für uns hier auf der Bischofssynode zur Jugend in Rom ´vacanza´. So war ich vergangenen Sonntag am Abend im Stadtteil Trastevere und habe an einer Veranstaltung teilgenommen, die jährlich um den 16. Oktober herum stattfindet. Sie wird verantwortet von der Gemeinschaft Sant´Egidio, die ja auch bei uns in Osnabrück aktiv ist, und der Stadt Rom.

Mit dieser Veranstaltung wird jedes Jahr an die Deportation der Juden aus der Stadt erinnert, die am 16. Oktober 1943 durchgeführt wurde. Dieses Jahr stand das Treffen unter dem Motto „NON C’E‘ FUTORO SENZA MEMORIA – Keine Zukunft ohne Erinnerung“.

Sant'Egidio RomEs nahmen Kinder, Jugendliche und Erwachsene verschiedener Religionen und Konfessionen an einem Schweigemarsch teil. Ich habe danach eindrucksvolle Redebeiträge hören dürfen:  von Vertretern der Kirchen, von politisch Verantwortlichen wie zum Beispiel vom italienischen Außenminister, von einem Rabbi und von Andrea Riccardi, dem Gründer der Gemeinschaft Sant´Egidio, der auf dem Foto zu sehen ist.

Sie alle forderten in bewegenden Worten, dass wir aus der Geschichte lernen müssen, und dass wir doch angesichts unserer Vergangenheit eigentlich gemeinsam nichts anderes wollen können als ein freies Europa, in dem alle Menschen gleichermaßen geachtet und insbesondere Geflüchtete menschenwürdig behandelt werden.

Immer öfter sagen viele: „Ja, stimme ich irgendwie zu, aber das ist doch angesichts der großen Probleme und der Widerstände zu schön, um wahr zu werden, da kann ich eh‘ nicht wirklich etwas beitragen …“. Ich denke auch: Die Probleme auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der jede und jeder ihren und seinen Platz finden kann, sind keinesfalls zu unterschätzen. Mir ist auf dieser Kundgebung aber deutlich geworden, dass Resignation in keiner Weise weiterhilft, dass es vielmehr auf den und die Einzelne(n) ankommt, wenn sich etwas verändern soll. Klar, das ist schon so oft gesagt und geschrieben worden – aber deshalb ist es ja nicht weniger wahr …

An diesem Abend hat uns diese Einsicht unter anderem ein Lehrer aus der kleinen Stadt Lodi in Erinnerung gerufen. Mit unmöglichen Forderungen an die Eltern schließt derzeit das politisch rechts regierte Lodi Flüchtlingskinder faktisch von der Teilhabe an Erziehungs- und Bildungsangeboten und der damit verbundenen Grundversorgung aus oder erschwert ihnen zumindest massiv den Zugang. Die Stadtverwaltung von Lodi hatte zur Bedingung für die Teilnahme an Kantine, Schulbus oder Kinderkrippe gemacht, dass Flüchtlingsfamilien ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Sie sollten nachweisen, dass sie in ihren Herkunftsländern keinerlei Besitz oder Einkommen haben. Flüchtlingen aus Bürgerkriegs- oder Entwicklungsländern war dies natürlich aus bürokratischen Gründen de facto unmöglich.

Damit standen die Migranten plötzlich vor verdreifachten Kosten für den Schulbesuch – oder mussten ihre Kinder zu Fuß zur Schule bringen und ihnen Brote mitgeben, die die Kinder dann getrennt von den anderen in einem speraten Raum verzehren mussten. Ein Fernsehbericht über die drakonische Maßnahme hatte in Italien Empörung ausgelöst. Dank einer Spendenaktion können die betroffenen Kinder aber nun wieder mit ihren Mitschülerinnen und -schülern gemeinsam essen und zur Schule fahren. Binnen zwei Tagen brachte ein von zahlreichen Vereinen der 45.000-Einwohner-Stadt organisierter Spendenaufruf die notwendigen 60.000 Euro zusammen, um die Kosten für diese Dienste zu übernehmen; im Dezember wird ein Gericht über eine Beschwerde gegen die Ausschluss-Regeln entscheiden.

Über den Autor

Johannes Wübbe ist Weihbischof in unserem Bistum. Auf wen er in seinem Alltag trifft und was ihn bewegt – wir werden das in seinen Blogbeiträgen verfolgen.

Könnte so etwas bei uns auch geschehen? Vielleicht fallen Ihnen oder Euch sogar Beispiele für Maßnahmen und Regelungen ein, die auch bei uns Geflüchtete an möglichst optimaler Teilhabe an der Gesellschaft behindern?! Hier braucht es größte Aufmerksamkeit, eigenes Engagement, mindestens aber klare Positionierung gegen jede Form eines ausgrenzenden Populismus und für uneingeschränkte Sicherung der Menschenwürde und für Solidarität. Das sollte für uns Christen selbstverständlich sein.