Sorgt euch um nichts!

Vogel am Himmel
Bild: unsplash.com, Zara Walker

Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott. Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren.  

Paulus an die Philipper 4,4-7

„Sorgt euch um nichts!“ Das hört sich ja gut an! Aber mal ehrlich: Wie kann Paulus so etwas sagen: Krieg und Terror, wohin wir schauen; Klimakatastrophe und Dieselaffäre; Flucht und Sterben im Mittelmeer. Nicht zu vergessen die persönlichen Sorgen, die viele bedrücken: in Schule und Ausbildung, in der Familie, in einer schweren Krankheit, am Arbeitsplatz. Nicht zu vergessen: die einsamen Alten, die kaputten Familien, sexualisierte Gewalt, misshandelte Frauen und Kinder … Sorgt euch um nichts?

Paulus kennt das alles. Er kennt Krankheit, Not und Verfolgung. Er schreibt diese Worte tatsächlich im Gefängnis. Er ist wieder einmal mit den Behörden aneinander geraten; er weiß nicht, wann er wieder frei kommen wird. Er weiß: Die Christen in Philippi, die ihm besonders am Herzen liegen, sorgen sich um ihn. Und dennoch oder gerade deshalb sagt er ihnen: „Sorgt euch um nichts!“ Ja mehr noch: „Freut euch! Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“

Sorgt euch nicht, das sind auch berühmte Worte Jesu: „Schaut auf die Blumen des Feldes und die Vögel des Himmels, … sorgt euch nicht um euer Leben.“  (Mt. 6,25ff) Heinrich Albertz, Pastor der Bekennenden Kirche, berichtet im Rückblick auf sein Wirken, dass ihn dieses Wort ein Leben lang begleitet und provoziert hat.

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Als junger Vikar predigte er 1936 zum ersten Mal zu diesem Wort in einer kleinen schlesischen Waldarbeiterkirche in Vertretung des von den Nazis verhafteten Pastors. Die weinende Pastorenfrau vor Augen: Sorgt euch nicht! Bald wurde er selbst verhaftet, nach Verhören wieder freigelassen. In seine Zeit als Regierender Bürgermeister (SPD) von Berlin fielen die Studentenproteste, die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf den Studenten Benno Ohnesorg. In den siebziger Jahren stellte sich Albertz als Geisel zur Verfügung im Austausch für den entführten CDU Politiker Peter Lorenz und ließ sich von Terroristen in den Jemen ausfliegen. Er engagierte sich in der Friedensbewegung gemeinsam mit Heinrich Böll und Martin Niemöller und vielen anderen.

In einem Altenheim in Bremen am Ende seines Weges bewegte ihn im Rückblick auf sein Leben immer noch dieses Wort Jesu: Sorgt euch nicht! Was heißt das?, fragt er. Heinrich Albertz hat für sich zwei Antworten gefunden. Er sagt: „Es bedeutet wohl zuerst eine schier unglaubliche Freiheit von der Lebensangst. Ein Mensch, der dem Jesus Christus begegnet, kann mit seiner Furcht fertig werden.“ Diese Freiheit von der Sorge bedeute aber keine Gleichgültigkeit; sondern befreie erst zur Teilnahme an den Sorgen der Welt.

Zweitens bedeute für ihn die Predigt Jesu von der Sorglosigkeit eine heitere, fröhliche Gelassenheit.  „Seid ihr nicht mehr wert als Vögel und Blumen?“, zitiert er das Evangelium. Schade, sagt Albertz, dass man Christen an einer solchen fröhlichen Gelassenheit so selten nur erkennen könne – in den Parlamenten, in der Kirche und im Leben. „Je schmaler, je engbrüstiger der Glaube, desto kleiner die Gelassenheit!“, stellt Albertz fest. – Das meinte wohl auch Paulus, wenn er den Christen in Philippi sagt: „Freut euch! Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“

Gerrit Schulte, Diakon