Gedanken zur Fastenzeit: Die Tugend Gerechtigkeit

Pater Franz Richardt, geistlicher Direktor im Haus Ohrbeck, Bild: kirchenbote.de
Pater Franz Richardt, geistlicher Direktor im Haus Ohrbeck (Bild: kirchenbote.de)

Seit Aschermittwoch ist es wieder so weit: der Verzicht – auf Süßigkeiten, aufs Rauchen, auf Fernsehen oder Internet – wird zu einer viel diskutierten Tugend.  So wie Jesus 40 Tage in der Wüste fastete, so verzichten viele in der Zeit vor Ostern auf das, was ihnen wichtig ist – um sich frei zu machen, für Gedanken an und über Gott und um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Eine gute Gelegenheit, sich auch mal über andere Tugenden als das Fasten Gedanken zu machen! Tugend – das ist natürlich ein schwieriger Begriff. Tugendhaft, was bedeutet das überhaupt?

Es gibt bürgerliche Tugenden: zum Beispiel Sparsamkeit, Fleiß, Pünktlichkeit. Es gibt Rittertugenden wie Mut und Tapferkeit. Es gibt die Kardinalstugenden Klugheit, Gerechtigkeit und Mäßigung. Außerdem weitere christliche Tugenden wie Barmherzigkeit und Friedfertigkeit, die Jesus in der Bergpredigt lehrt. Und nicht zuletzt sind da noch die sogenannten „Göttlichen Tugenden“: Glaube (fides), Hoffnung (spes) und Liebe (caritas). (1. Korinther 13, 13) Dass gerade die letzte dieser drei erstrebenswert ist, ist wohl bei den meisten Menschen unbestritten. Doch wie sieht es mit anderen Tugenden aus? Sind sie heute eher unzeitgemäße Werte oder noch immer aktuell?

Das fragt sich auch Pater Franz Richardt, geistlicher Direktor im Haus Ohrbeck. Er macht sich während der Fastenzeit jede Woche Gedanken zu Aufrichtigkeit, Treue, Höflichkeit und Co.

Gerechtigkeit

Kaum eine andere Wirklichkeit empfinden wir so intensiv wie das Gefühl, wenn wir ungerecht behandelt werden. Das geht an den Kern unserer Person und Wü̈rde. „Das ungerecht“, sagt ein Kind, wenn es nicht genauso viel bekommt wie das andere oder wenn beim Spiel die Spielregeln nicht eingehalten werden, wenn betrogen wird.

„Das ist nicht gerecht“, sagen Erwachsene, wenn Arbeiter eines Betriebs entlassen werden und die Manager Boni in Millionenhöhe einstecken. Die Tugend der Gerechtigkeit hat mit Recht und Gleichbehandlung zu tun. Geschriebene und ungeschriebene Regeln sollen eingehalten werden. Was dem anderen zukommt, soll auch mir zukommen.
Wobei wir genau wissen: So gleich aufgeteilt ist die Welt leider nicht. Es gibt Unterschiede. Diese Erfahrung ist schmerzlich, aber oft arbeiten wir uns dazu durch, diese Realität zu akzeptieren. Wer viel Verantwortung trägt, darf auch entsprechend entlohnt werden. Sonst wird die Gleichheit wieder zur Ungerechtigkeit. Aber es gibt Verhaltensweisen und Situationen, die verletzten das Augenmaß, sind Unrecht und werden richtigerweise auch als Ungerechtigkeit empfunden.

Man kann fragen: Was ist das – ein Gerechter? Ein Mensch, der sich ans Recht hält, der sucht, alle gleich zu behandeln? Ja – aber das wäre zu wenig. Ein Gerechter geht über das gesetzlich Vorgeschriebene hinaus und tut mehr. Er hat das Ganze und die einzelnen Menschen im Blick. Diese Rücksicht bewahrt ihn davor, seine individuellen Interessen absolut zu setzen. Sie bewahrt ihn vor Egoismus und führt zu der Haltung, die die Tugend der Gerechtigkeit heißt, also zu einer Liebe, die dem anderen zukommen lässt, was ihm guttut, ohne die weiteren Menschen im Umkreis aus dem Blick zu verlieren. Deswegen ist die Tugend der Gerechtigkeit mehr als ein Zustand, sie bezeichnet eine Haltung, dass man sich immer neu um gerechte Verhältnisse im nahen und fernen Lebenskreis bemüht.

Jesus preist solche Menschen selig: „Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit“ (Matthäus 5, 6). Vor der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem erinnert eine Allee von Bäumen an Menschen, die im Dritten Reich unter Einsatz ihres Lebens das Leben anderer Menschen gerettet haben. Diese Allee heißt „Allee der Gerechten“.
Die Kraft zu solchem Einsatz kann für einen gläubigen Menschen aus dem Glauben an Gott hervorgehen. Gott hat seine  Gerechtigkeit darin erwiesen, dass er den Menschen aus Gnade gerecht macht. Einfach deshalb, weil er gut sein will, und nicht, weil wir Menschen ein Anrecht auf seine Gnade hätten. Seine Gerechtigkeit ist ein Ausdruck einer Huld und Treue. Gott – so sagen wir – hätte sich nicht so verhalten müssen, aber er hat seine berechtigte Enttäuschung über uns Menschen beiseitegeschoben, weil er die Erde und alles, was auf ihr lebt, liebt. Das ist seine Art von Gerechtigkeit.

In diesen Tagen erinnern wir uns wieder an das Leben und Sterben von Jesus Christus. In seinem Tod und seiner Auferstehung können wir die Größe der göttlichen Gerechtigkeit erkennen.