Von Osnabrück nach Telgte
Es ist die größte Fußwallfahrt Deutschlands: Seit 160 Jahren Pilgern Gläubige von Osnabrück nach Telgte. Auch der Kirchenboten-Redakteur Matthias Petersen ist mit nach Telgte gepilgert. Wie er sich vorbereitet hat, und was er auf seiner ersten Wallfahrt erlebt hat, schildert er hier …
„Eine solche Strecke will ich nicht aus dem Stand gehen. Deshalb ist der Auftakt zur Wallfahrt für mich schon einige Tage zuvor: täglich mache ich mich zu Fuß von meinem Wohnort in Hellern aus auf den Weg ins Büro. Jeden Tag zehn Kilometer – ich werde es noch zu schätzen wissen …
Samstag, 9.15 Uhr in Glandorf: „Sie steigen hier erst ein? Deshalb sehen Sie noch so frisch aus!“ Mit diesem Kompliment begrüßt mich eine Bekannte aus Osnabrück in Glandorf. Sie selbst ist schon mitten in der Nacht in St. Johann aufgebrochen. Dort ist der Pilgerzug nach Telgte immer noch relativ klein; einige hundert Pilgerinnen und Pilger machen sich von hier aus auf den Weg. Im Laufe des Tages wächst der Pilgerzug an den einzelnen Stationen dann auf eine Größe von mehreren tausend Menschen an.
Bloß niemandem in die Hacken treten
„Kaufen Sie unbedingt ein Pilgerbuch. Wenn Sie nicht mitbeten können, ist die Wallfahrt lau“, sagt meine Bekannte. Das Pilgerbuch mit Liedern und Gebeten wird jedes Jahr zur Begleitung des Pilgerzugs angeboten. Vorbeter sind in entsprechenden Abständen im Pilgerzug verteilt. Zu Fuß gehen ist das eine. Zu Fuß inmitten eines Menschenpulks zu gehen, ist etwas anderes. Auf den ersten Metern muss ich ständig aufpassen, nicht jemandem in die Hacken zu treten. Meine ganze Konzentration gehört der Straße. Gar kein Gedanke daran, die mir noch unbekannten Gebete abzulesen und mitzusprechen.
Schneller als erwartet ist die Klause Oedingberge erreicht. Mein Training zahlt sich aus: Ich fühle mich noch frisch wie zu Beginn. Nach der Pause und der Predigt von Dechant Hermann Wieh reihe ich mich am Ende des Pilgerzugs ein. Hier ist mehr Platz. So können die Gedanken auf die Reise gehen. In meinem persönlichen Rucksack stecken die üblichen Alltagssorgen. Ich denke an einen Freund, der mich gebeten hat, auf der Wallfahrt für ihn zu beten. Es tut gut, den andern Pilgern beim Singen und Beten zuzuhören. Ich fühle mich in der Menge gut aufgehoben. Doch nach etwa einer Stunde wird der Weg beschwerlich.
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Wäre ich allein,
ich würde vermutlich aufgeben
Fragen kommen in mir hoch: Warum muss man solche Pilgertouren zu Fuß machen? Könnte man nicht wenigstens das Fahrrad nehmen? Die Beine werden schwer. Wenn es so weitergeht, habe ich bald einen Krampf im Fuß. Zwei vor mir gehende Frauen werden immer langsamer. Ich muss schon wieder aufpassen. Zwei andere Frauen ziehen vorbei. Ihre Walkingstöcke schauen bedrohlich aus dem Rucksack. Wäre ich jetzt allein, würde ich vermutlich aufgeben. Gut, dass da noch so viele andere Pilger sind. Auch wenn niemand von meiner Not erfährt, die Gruppe ist es, die weiterhilft. Kaum haben wir kurz darauf Ostbevern erreicht, geht es mir wieder gut. Die Glocken der Kirche läuten zur Begrüßung, die Sonne kommt durch die Wolken. Eineinhalb Stunden Pause? Ich freue mich schon darauf, dass es weitergeht. Aber die freundlichen Gespräche mit anderen Pilgern weiß ich zu schätzen.
Ausgeruht geht es auf die letzte Etappe. Jetzt ist Zeit, noch einmal an die Sorgen zu denken, die ich dabeihabe. Ob sich etwas daran ändern wird, wenn ich in Telgte bin? Was wird es für ein Gefühl sein, vor dem dortigen Bild der Madonna zu beten? Der Pilgerzug ist länger geworden, aber auch jünger. Familien und Kinder sind vermehrt dabei. Ein Bekannter aus Osnabrück sieht mich quer durch den Zug fragend an, will wissen, wie es mir geht. Daumen hoch, ist meine Antwort. Er nickt zufrieden. Schön, dass er an mich denkt.
Der Rucksack ist leichter geworden
Auch in Telgte läuten die Glocken. Hunderte stehen am Straßenrand, viele sehen uns anerkennend an, mancher Beobachter hat Tränen in den Augen. Propst Erdbürger begrüßt die Pilger. „Sie sind die Zukunft der Kirche“, sagt er. Ein schöner Gedanke. In der Kirche steht die Statue der „Schmerzhaften Mutter“. Still verharre ich dort im Gebet. Meine Sorgen, die ich mitgebracht habe, sind nicht weg. Aber sie fühlen sich jetzt anders an. Der Rucksack ist leichter geworden. Und der Fußweg? Der war beschwerlich. Aber er war wohl nötig, um in Ruhe nachdenken zu können. Mit dem Rad wäre alles viel zu schnell gegangen.“