Warten wie Jesus

Menschen stehen Schlange
Bild: AdobeStock.com, Alessandro Biascioli

In jener Zeit trat Johannes in der Wüste auf und verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren. Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.

Markus 1,7-11

 

Am Anfang der Adventszeit sind wir in den Lesungstexten Johannes dem Täufer begegnet und jetzt, zum Ende der Weihnachtszeit, bietet uns die Liturgie erneut eine Bibelstelle über ihn an. Diese Szene der Taufe Jesu verbinde ich seit meinem Theologiestudium mit einem beeindruckenden Holzschnitt des Künstlers Fritz Eichenberg: Jesus steht geduldig in einer Reihe mit anderen Wartenden. Eigentlich ist das Bild im Kontext der katholischen Arbeiterbewegung entstanden und heißt „Christ in the brealine“ – es zeigt also Jesus, der in der Schlange vor einer Suppenküche ansteht. Ich stelle mir aber gerne vor, dass er genau so angestanden haben muss, um getauft zu werden.

Im Text und in den gängigen künstlerischen Darstellungen der Taufe Jesu befindet sich Jesus bereits im Jordan. Doch ich finde den Moment davor viel interessanter: Jesus wartet mit anderen auf seine Taufe. Er reiht sich ein, steht in der Schlange. Mich beeindruckt die Gelassenheit und Ruhe, die er hier beim Warten ausstrahlt, und vor allem die Tatsache, dass er sich in die Schlange stellt. Er, der auf die Welt gekommen ist, um Messias zu werden, nimmt sich selbst nicht so wichtig und reiht sich einfach ein.

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Warten und Schlange stehen. Diese Erfahrung nimmt zurzeit aufgrund der Abstandsregeln besonders viel Raum ein – wörtlich verstanden. Nicht alle nehmen eine so ruhige Haltung dabei ein, wie Jesus. In der Schlange zu stehen, im Wartezimmer beim Arzt zu warten oder im Stau blockiert zu sein, sind nicht unbedingt die schönsten Erfahrungen, die wir Menschen auf dieser Welt machen. Deswegen vermeiden wir sie gerne. Jesus blieben solche alltäglichen und womöglich banal erscheinenden Erfahrungen nicht erspart. Er steht Schlange vor der Stelle, wo Johannes tauft und er wartet, bis er an der Reihe ist.

In Schlange stehen, warten, sich keiner menschlichen Erfahrung entziehen. So lebte Jesus auf der Erde, und so lebte er vor, dass er „der geliebter Sohn Gottes war“.

Welche Botschaft kann seine Art und Weise Mensch zu sein für mich haben?

Vielleicht ist die Einladung: „Werde Mensch!“ passend – vielleicht verhilft sie mir zu Beginn des neuen Jahres 2021 zu einer neuen Perspektive?

Roberto Piani