Mehr Toleranz und Barmherzigkeit
Bischof Franz-Josef Bode hat in seiner Weihnachtsbotschaft zu Toleranz, Fürsorge und Barmherzigkeit aufgerufen. In seiner Predigt am ersten Weihnachtstag (25. Dezember) im Osnabrücker Dom wies Bode auf die aktuellen großen Fluchtbewegungen in der Welt, auf Terror und Gewalt hin. Im Hinblick auf die Flüchtlinge gebe es hierzulande auch Hass und fremdenfeindliche Gewalt. Vieles davon bleibe „in unseren Köpfen bedrückend haften“. Das verstelle zuweilen den Blick für das Ganze. Bode sagte, Jesu Geburtstag bringe Hoffnung für die Menschen. Das Kind in der Krippe biete Orientierung, „wenn wir mit Streit und Neid, mit Einsamkeit und Verbitterung, mit Armut und Not konfrontiert werden“.
Weihnachtspredigt 2015
Die komplette Predigt im Wortlaut können Sie hier nachlesen:
Vor einigen Tagen, liebe Schwestern und Brüder, las ich von der tiefsinnigen Idee eines Pfarrers zu Weihnachten. Er hatte eine Krippe aufgestellt, das Jesuskind aber nicht auf Heu und Stroh gelegt, sondern auf zusammengeknülltes Zeitungspapier. Er hat Jesus nicht auf das Stroh der Vergangenheit, sondern mitten in die Schlagzeilen der Tageszeitung gebettet.
Dieses Bild spricht eine starke Sprache. Hier im Dom steht es uns auch vor Augen.
Wer das Krippenkind auf (zerknüllte) Zeitungsnotizen legt, legt es in die Schlagzeilen der Weltpolitik, die uns jeden Tag von Krisen, von Ränkespielen der Macht, von Gewalt und Terror berichten. Sie zeugen oft von der Ohnmacht des Guten, von Fanatismus und Grausamkeit. In diesen Zeiten berichten sie besonders von den großen Fluchtbewegungen in der Welt, von den vielen Flüchtlingen, die bei uns ankommen, auch von der großen Bereitschaft, diesen Schutzsuchenden mit immer neuen Ideen zu helfen, von der gemeinsamen ökumenischen Kraft aller Christen, Türen für die Vielen zu öffnen und mit allen Menschen guten Willens Solidarität handfest zu leben.
Berichtet wird aber auch von der wachsender Angst und Verunsicherung, von gefährlichen Verschiebungen nach „rechts“, ja von offenem Hass und fremdenfeindlicher Gewalt. Und da die Zeitungen ohnehin eher „bad News“ als „good News“ verbreiten, bleibt so vieles davon in unseren Köpfen bedrückend haften und verstellt zuweilen den Blick für das Ganze.
Wo sich dieses Kind in die Krippe solcher Nachrichten legen lässt, redet es denen ins Gewissen, die über das Schicksal anderer verfügen. Es stellt den Maßstab auf, der menschliches Zusammenleben im Kleinen wie im Großen verändern könnte. Sagt es doch später: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“ (Mt 20,25).
So ruft dieses Kind, dieser Neugeborene in unsere erschütterte und geschüttelte Welt hinein, die sich in den Schlagzeilen widerspiegelt: „Wenn das Wohl aller Menschen und nicht das Gesetz des Stärkeren das Handeln regiert, könnte euer Zusammenleben – klein wie groß – ein neues Gesicht bekommen und die Finsternis durchlichtet werden.“
Wo sich dieses Kind dann auf die Lokalseiten legen lässt, auf die Wirtschaftsseiten, die Kulturseiten, die Sportseiten oder gar die Magazine jeder Art, wo dieses Kind sich hineinlegen lässt in all das, da bietet es neue Lebensregeln an. An ihnen können wir uns in den Dramen unseres Alltags orientieren, wenn wir mit Streit und Neid, mit Einsamkeit und Verbitterung, mit Armut und Not konfrontiert werden. Das Kind wird uns sagen: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Mt 7,12). Und: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Mt 22,39); dann wirst du auch Gott richtig lieben können.
Wertschätzung, Respekt, Toleranz, Fürsorge, Hilfsbereitschaft und vor allem Barmherzigkeit werden uns in die Wiege aus Zeitungspapier gelegt, in die Wiege unserer von den Medien aufbereiteten und veröffentlichten Wirklichkeit, wenn dieses Kind sich darauf betten lässt und uns inmitten all der schrecklichen, abgründigen Erfahrungen sein lächelndes Gesicht schenkt, wenn es seine Arme ausbreitet wie später am Kreuz, um alle an sich zu ziehen.
Leben wir immer mehr das, was uns damit in unsere Wiege gelegt ist, und arbeiten wir auf diese Weise mit an der Menschwerdung des Menschen und an der Anbetung Gottes inmitten unserer Welt.
Wo das Kind sich auf die Todesanzeigen legen lässt – auf die mit wie auf die ohne christliche Symbole und Worte –, da kann deutlich werden: Jesu Geburtstag bringt einen Hoffnungsschimmer in das Leben der Leidenden und Trauernden. Dieser Geburtstag verspricht wahres, erfülltes Leben, das der Tod nicht zerstören kann. „Wer mein Wort hört“, sagt Jesus, „und wer dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben. Er… ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen“ (Joh 5,24).
Wenn wir uns an dieser Hoffnung, die uns schon in der Krippe anschaut, festhalten und ihr trauen, kann uns das in manchem Schmerz trösten. Dann leuchtet uns im tiefen Sinn des Wortes diese Hoffnung wieder neu ein durch den Kerzen- und Lichterschein dieser Tage.
Die berühmte Weihnachtslesung aus dem Buch Jesaja unterstreicht das. Inmitten der vielfältig drückenden Traghölzer und Joche auf den Schultern der Menschen und inmitten der Stöcke der Treiber, die uns innerlich und äußerlich hetzen und jagen, inmitten der Stiefeln derer, die die Würde des Menschen mit Füßen treten, und in allem Unrecht, das an unseren Händen und Herzen klebt, wird uns zugerufen: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Man nennt ihn starker Gott, Fürst des Friedens. Sein Friede hat kein Ende, denn er stützt sich auf Recht und Gerechtigkeit, die er uns zeigt in seiner unendlichen Barmherzigkeit.“
Diese Verheißung, die wir in der Geburt Jesu erfüllt sehen, wird uns besser erahnbar, wenn wir auf das Kind in der Zeitungskrippe blicken.
Und sagt uns nicht der feierliche Anfang des Johannesevangeliums dasselbe?!
„Im Anfang war das Wort, /
und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott.
…
Und das Wort ist Fleisch geworden /
und hat unter uns gewohnt“
als Licht in der Finsternis , als Erbe des Alls, das heißt als Erbe all dessen, was unsere Welt – groß oder klein, licht oder dunkel – ausmacht. Denn dieses fleischgewordene Wort lässt sich ein auf die unendliche Menge der Wörter in den Zeitungen und Medien, in der Welt. Es lässt uns in diesen Wörter-, Bilder- und Reizfluten nicht ertrinken oder ersticken, sondern lässt uns aufatmen, lässt uns zu Atem kommen. Dieses menschgewordene Wort.
Diesem Wort können wir als einzigem restlos trauen, da es mit uns und durch uns das Leben durchbuchstabiert. Dieses Wort können wir beim Wort nehmen, und es kann unsere eigenen Worte glaubwürdig machen.
Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir das Kind in der Menge der Wörter und Nachrichten nicht links liegen. Schauen wir es an, umarmen wir es und beten wir es an, damit die Welt der Wörter, der Fakten und der Selbstdarstellungen uns nicht mehr anzieht als das faszinierende Gesicht unseres menschgewordenen Gottes. Denn in ihm blickt er selbst uns an. Amen.