Weihnachtspredigt von Bischof Franz-Josef Bode

Bischof Franz-Josef Bode
Bild: Bistum Osnabrück

An dieser Stelle ist die Weihnachtspredigt von Bischof Franz-Josef Bode dokumentiert, die er in der Christmette am 24. Dezember 2021 im Osnabrücker Dom gehalten hat.

Lesungen:  Jesaja 9,1-6 und Philipper 2,5-11

Evangelium: Lukas 2,1-14

 

„Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, da sie gebären sollte.“ Früher, liebe Schwestern und Brüder, übersetzte man so: „Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft.“

Dieses ältere Wort passt für mich besser zu einem Weihnachtsfest, an dem viele durchaus niedergedrückt sind, niedergeschlagen von der immer noch währenden Pandemie mit ihrer Verunsicherung und Angst, mit den vielen Regeln und Eintragungen fast wie in Bethlehem, mit ihrer Spannung zwischen Geimpften und Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und Querdenkern, mit der Sorge um die Zukunft von Kindern und Jugendlichen, mit der persönlichen Existenznot – und das weltweit. „Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft“, ihres Gebärens.

Aber auch: Seiner Niederkunft. Seine Geburt ist ein Kommen ins Niedrige, ein Kommen in einen Stall, in eine Krippe, am Rande der Stadt, überall Volksmassen und kein Platz in der Herberge. – Die Idylle unserer Weihnachtskrippen, der Sterne und des milden Kerzenlichts wird durchbrochen von dem Niederkommen dieses Kindes.

Der Dichter Andreas Knapp hat uns einen sehr dichten Text geschenkt unter dem Titel: „des höchsten niederkunft“. Er geht so:

nicht als wort
kam er zur welt
nicht als fixierter text
oder blutleeres buch

sondern fleischlich
schmerzempfindsam
in jede faser
eingeschriebene
sterblichkeit
ein einziger schrei
nach liebe

und sein testament
nichts schriftliches
hat er hinterlassen
nicht papieren
sein vermächtnis
sondern hingabe
mit fleisch und blut

Andreas Knapp, ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott, Würzburg 2020, S. 61

 

Nicht als reines Wort oder blutleeres Buch kam er zur Welt, sondern fleischlich, so wie Lukas es uns erzählt und der feierliche Text des Johannesevangeliums es morgen ausdrücken wird: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Schmerzempfindsam, in jede Faser eingeschriebene Sterblichkeit. Wir könnten ergänzen: eingeimpft in die Tiefe des Menschseins zur Heilung und als Gegenmittel gegen die immer neuen Viren der Resignation und Verzweiflung.

Mit dem Menschen, im Menschen ein einziger Schrei nach Liebe. Und sein Vermächtnis: Hingabe mit Fleisch und Blut.

Einer der ältesten Hymnen des Neuen Testaments – im Philipperbrief des Paulus – sagt: „Er war wie Gott, hielt aber nicht daran fest, bei Gott zu sein, sondern entäußerte sich, wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ (Phil 2,6-7). Erst wenn wir dieser Niederkunft des Höchsten gewahr werden mitten in dieser Zeit, in der er das Leben der Menschen genauso teilt wie zu anderen Zeiten, werden wir auch der tiefen Freude gewahr werden, die in diesem Geschehen der Weihnacht steckt. Weil die Krippe und das Kreuz aus demselben Holz sind, wie der frühere Limburger Bischof Kamphaus einmal gesagt hat, haben wir auch in diesem Jahr 2021 allen Grund zur Freude an diesem Festtag unserer Erlösung.

So kann und wird uns die derzeit hochkomplizierte Lage von Gesellschaft, Kirche und Welt nicht übermächtigen, wenn wir auf dieses besondere Kind blicken, das sich als Gott, als Höchster ausgerechnet den Platz am Rand aussucht, um gerade so alle, die an den Rand geraten sind, in die Mitte zu holen.

Gerade weil dieses Kind sich unter die Namenlosen begibt, wird ihm ein Name gegeben, der größer ist als alle Namen, der Name Gottes selbst, der da ist: Ich bin da; ich bin da für dich. Immanuel – Gott mit uns. Jesus – Gott hilft, erlöst, rettet.

Des Höchsten Niederkunft gerade in dieser Zeit lehrt uns, den Glanz des Einfachen wieder zu entdecken – gerade dort, wo die Komplexität der Wirklichkeit so sehr gewachsen ist, aber zugleich auch ihre Zerbrechlichkeit und Fragilität und ihre tiefe Verwundbarkeit und Vulnerabilität.

Auch an dieser Stelle möchte ich einen eingängigen Text von Andreas Knapp zitieren:

der glanz des einfachen

wir sind überzüchtet
jagen nach dem exquisiten
nippen an cocktails
im blendlicht
von designerlampen

das schlichte aber
schmeckt einfach
das schnörkellose brot
nach schweißtreibender wanderung
ein schluck wasser aus der quelle
gratisgeschenk ohne hintergedanken
schau wie schön
sich kerzenlicht spiegelt
in leuchtenden kinderaugen

dass ein Licht geboren werde. Ein Adventskalender mit Gedichten von Andreas Knapp, Würzburg 2015, S. 15

 

Schau wie Kerzenlicht sich spiegelt in leuchtenden Kinderaugen. – Dieser Glanz des Einfachen sollte uns neu aufgehen in einer Zeit, in der uns viele große Dinge genommen sind: Versammlungen, Feiern, Kundgebungen, großspuriger Umgang mit der Wirklichkeit. In einer Zeit, in der wir aber spüren, wie die Gesten und Ideen vieler – allen Abstandsregelungen zum Trotz – dazu beitragen, Gemeinschaft, Zusammenhalt, Sinn und Aufrichtung zu schenken.

Je mehr wir der Niederkunft des Höchsten ins Einfache gewahr werden, desto mehr lernen wir zu leben in dieser Situation, in der wir zur Zeit stehen und die uns noch lange in vielfacher Form begleiten wird.

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In dieser klimatischen Situation und in dem gesellschaftlichen Ringen und erst recht in dem kirchlichen Ringen um ein neues Morgen wird die Rückkehr zur Einfachheit, zur glanzvollen Einfachheit, zur selbstbewussten Demut, zur nüchternen Leidenschaft für den menschgewordenen Gott uns helfen, das Komplexe und Komplizierte auszuhalten und zu bestehen.

Das aber nicht in der Einfachheit der Simplifikation der Populisten, die die Komplexitäten überspringen, sich ihnen nicht stellen und die einfachen Lösungen zum lockenden Prinzip erheben. Nein, es geht um die Einfachheit derer, die sich ihres Glaubens gewiss sind, die die Hoffnung nicht aufgeben und die Liebe leben. Denn sie wissen, dass der Eine, der niedergekommen ist, diese Welt, so wie sie ist, damals wie auch heute, angenommen und durchdrungen hat und ganz mit uns teilt, damit wir in allem ihn suchen und entdecken können und dürfen.

Liebe Schwestern und Brüder, deshalb kann einzig dieses Kind im Stall der feste Grund unserer Freude sein, ja kann die Herrschaft der Welt auf den Schultern dieses Kindes ruhen, wie es die 1. Lesung sagt, dieses Kindes, in dessen leuchtenden Augen sich alle Wirklichkeit glanzvoll spiegelt. Sehen wir uns satt daran in diesen Tagen. Wir werden dieses Leuchten noch besonders brauchen für das Neue Jahr, das bald beginnt. Amen.