Wenn in der Not Hilfe kommt – mit Ruhe, Präsenz und Zuhören
Manchmal geraten Menschen in Situationen, die sie körperlich und / oder psychisch überfordern: Wenn sie Opfer eines Verkehrsunfalls werden, verunglücken, oder wenn ein naher Angehöriger plötzlich stirbt, wie im Fall von Kerstin Kohne: Als dies passierte stand ihr mit Pastor Thomas Wirp ein Notfallseelsorger zu Seite.
Engel sind Kerstin Kohne wichtig. Überall in ihrer Wohnung stehen die geflügelten Wesen, in der Diele im Regal, im Wohnzimmer auf dem Sideboard und in der Küche. Auch ihr Mann Hans-Jürgen hatte ihr einen geschenkt. „Du magst die ja so“, hatte er ihr noch gesagt. Das war kurz vor seinem plötzlichen Tod im Dezember 2020. In dieser Nacht wurde sie unvermittelt wach – „unser Hund hatte mich geweckt“, erinnert sich die 57-Jährige. Sie sah Licht im Bad und als sie nachschaute, lag ihr Mann bewusstlos auf den Fliesen. „Er hatte noch Puls“, erzählt die ausgebildete Krankenschwester, die – nachdem sie den Notarzt gerufen hatte – auch Wiederbelebungsversuche startete.
Doch alles nützte nichts, ihr Mann verstarb kurze Zeit später. In dieser angespannten Situation bekam sie kaum mit, dass ein Sanitäter des Rettungsdienstes sagte, der Notfallseelsorger komme gleich. Das war in dieser Nacht Thomas Wirp, Pastor in Ostercappeln. „Er kam ganz ruhig rein“, erinnert sich Kerstin Kohne. Denn nicht allein, dass ihr Mann von einem Moment auf den anderen verstorben war, auch die Umstände darum herum nahmen die Hinterbliebene mit: „Ich durfte nicht mehr zu ihm“, sagt sie, denn die Polizei war inzwischen gekommen und musste erst die Ermittlungen abschließen. Auch wurde sie von einer jungen Beamtin nach den Todesumständen befragt. „Für uns beide war das furchtbar.“ Dann sollte ihr Mann in einem Blechsarg aus dem Haus gebracht werden: „Das wollte ich nicht, er sollte seinen letzten Weg würdiger antreten.“
Der Notfallseelsorger stand ihr in diesen Stunden bei und unterstützte sie – auch, in dem er einfach nur da war. Doch gerade die Ruhe, die Thomas Wirp ausstrahlte, hat ihr geholfen. „Er war sehr präsent, obwohl er kaum etwas sagte. Das hat mir sehr gutgetan, ich war ja wie weggebeamt“, beschreibt sie das Gefühl in dieser Nacht: „Ich war wie in einer Luftblase.“
Weitere Infos
- Im Bistum Osnabrück engagieren sich 215 Personen als Notfallseelsorger*innen. Mehr über ihre Arbeit können Sie auch hier nachlesen.
- Wer sich als Notfallseelsorger*in engagieren möchte, kann sich bei Michael Randelhoff, dem Diözesanbeauftragten für die Notfallseelsorge, melden – die Kontakte finden sich hier
Pastor Wirp kann sich ebenfalls an diesen Einsatz in Wallenhorst erinnern. Kerstin Kohne habe geredet, da konnte er sich aufs Zuhören beschränken. „Die Menschen sind, wenn sie so einen nahen Angehörigen verlieren, wie in diesem Fall, in einer Situation, die sie überfordert.“ Es gehe in der Notfallseelsorge darum, sie aus diesem Schockzustand zu holen, sie wieder handlungsfähig zu machen. „Da muss nicht ich reden, da müssen die Menschen reden.“ Seine Aufgabe sei es deshalb, aktiv und aufmerksam zuzuhören – selbst wenn die Angehörigen ihm 15 Mal dasselbe erzählen. Er achte dabei auch auf die Zwischentöne, wie ein Mensch mit ihm spricht, seine Mimik und Gestik. „Im Reden verarbeitet man das Erlebte. Es geht darum aus einer traumatischen Situation kein bleibendes Trauma werden zu lassen“, so Wirp, der in einem Team von zehn Notfallseelsorgern für den Osnabrücker Nordkreis zuständig ist.
Und in einer traumatischen Situation war auch Kerstin Kohne. Daran änderte auch nichts, dass sie sich schon seit Längerem in der Hospizarbeit ehrenamtlich mit Tod und Trauer beschäftigt. „Was ich da gelernt habe, hatte ich alles vergessen in dieser Nacht.“ Alle die Dinge, die in diesem Moment auf sie einströmten: Dass sie ihren Mann nicht sehen durfte, die Fragen der Polizei, das professionell-distanzierte Verhalten der Rettungskräfte, all das musste sie irgendwie verarbeiten. „Da half mir, dass da jemand saß, der nichts von mir wollte und eben nur da war.“
Dass die Anwesenheit der Polizei in dieser Nacht zusätzlich belastend war für Kerstin Kohne, sieht auch Thomas Wirp. „Wir sind oftmals auch dabei, wenn die Angehörigen von den Beamten befragt werden und nehmen eine anwaltschaftliche Funktion ein.“ Er verstehe andererseits auch die Polizeibeamten. Diese werden gerufen, wenn der Arzt oder die Ärztin unklare Todesursache auf dem Totenschein ankreuzt. Der Sterbeort wird so zum Tatort, an den niemand außer der Polizei selbst hinkommt. Mittlerweile sei der Umgang der Beamten mit den Hinterbliebenen in dieser Situation allerdings besser als noch vor einigen Jahren: Die Polizei sei auf diese Begegnungen hin geschult und auch zum Beispiel ein Abschiednehmen eher einmal möglich.
Der Einsatz war für Thomas Wirp gegen 8.00 Uhr morgens vorbei. „Wir lassen die Angehörigen, wenn es irgendwie geht, nicht allein und bleiben immer so lange, bis jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis da ist“, erzählt er. Außerdem bleiben sie immer so lange, bis die Rettungskräfte und die Polizei weg seien. In diesem Fall verließ er die Familie, als Kerstin Kohnes Mann abgeholt wurde – in einem würdigeren Holzsarg.
Dass sie der Tod ihres Mannes auch vier Jahre danach nicht loslässt, merkt man Kerstin Kohne immer noch an. Es wühlt sie auf, wenn sie von dieser Nacht erzählt. Andererseits geht sie offen mit dem Thema Tod um. Es soll nicht zum Tabu werden, das ist ihr wichtig. Sie habe nach dem Verlust ihres Mannes selbst gemerkt, dass Menschen aus ihrem Umfeld sie gemieden haben – auch weil sie unsicher waren, was sie sagen sollen. „Das darf nicht sein“, findet sie. Gerade in einer solchen Lebenslage werde das Gespräch gebraucht – und sei es auch nur kurz. Sie hat deshalb auch die Selbsthilfegruppe „Weitergehen – 1000 Schritte ins Leben“ gegründet, wo sie sich mit Menschen austauschen kann, die ähnliches erfahren haben. Vom Tod eines Angehörigen zu sprechen sei eben eine Form von Trost. Und noch wichtiger als der, den die Engel in ihre Wohnung ihr geben können.