Wie peinlich ist das denn?!

„Ist das peinlich!“ – „Wie die rumläuft, das geht gar nicht.“ – „Dass der sich das öffentlich traut …“
Kennen Sie solche Sätze?
Ich ja. Auch von mir: Mit Anfang 20 ging ich ab und an mit meiner Freundin in den Club zum Feiern. Wir analysierten gern die Outfits anderer Leute – vornehmlich Frauen – und gaben unsere Bewertung dazu ab. Meist fiel die negativ aus.
Und so etwas von einer, die sich Feministin nennt. Ja.
Seit einigen Tagen geht mir dieses Thema nicht aus dem Kopf, weil es mir gerade in zwei Situationen begegnete – sich lustig machen über andere. Feststellen, dass sie ziemlich peinlich sind mit dem, was sie tun.
Jemand zeigte mir ein Video vom „Hobby-Horsing“: Eine Spiel- und Sportart, bei der Kinder oder Jugendliche Steckenpferde wie echte Pferde behandeln. Es wird Zubehör gekauft, die Pferde werden versorgt und trainiert. Es finden sogar offizielle Turniere statt. Darüber gibt es ganze Instagram- oder YouTube-Kanäle. Man erhält den Eindruck, die Akteur:innen nähmen ihre Sache ernst, sehr ernst.
Die Person, die mir das Handyvideo vor die Nase hielt, meinte: Ok, also wenn Kinder Pferd spielen, alles im Rahmen, aber geht das nicht zu weit? Wird das nicht irgendwann peinlich? Und was ich als Pferdemensch dazu sagen würde.
Ich erinnere mich, dass vor geraumer Zeit beantragt wurde, die Hobby-Horsing-Turniere in die offizielle Ordnung der FN (das ist sowas wie der DFB des Reitsports, die Deutsche Reiterliche Vereinigung) aufzunehmen, und das ging dann doch einigen entschieden zu weit. Ist ja kein Sport mit echten Pferden. Sehe ich auch so. Dennoch: Warum eigentlich finden wir das peinlich?
Über die Autorin
Katie Westphal ist Pastoralreferentin. Sie schreibt Texte über Lebens- und Alltagsfragen und ist immer auf der Suche nach der richtigen Hintergrundmusik. Außerdem erzählt sie gern davon, wie es ist, Christin und Feministin zu sein: Eine gute Kombination, wie sie findet.
Ich gebe zu: Selbstverständlich habe ich als Grundschulkind mit meinen Freundinnen Pferd gespielt. Und noch als 13-jähre habe ich mit meiner besten Freundin einen ganzen Reitstall gemanagt – mit Reitunterrichtsplan, Ferienbetrieb und Grundrisszeichnungen der Schulponyställe. Unser Tierarzt hatte sogar eine Telefonnummer. Ich schrieb dazu Geschichten.
Jetzt sah ich mir ein Instagram-Video an von einem Jungen, etwa 14, der mit seinem Steckenpferd eine Dressuraufgabe ritt. Und im Garten über riesig hohe Hindernisse sprang. Ich hatte damals bloß noch kein Instagram.
Kurze Zeit später lese ich eine Biografie vom schwedischen Reitsportler Carl Hedin, „Pferdejunge“ heißt die und genau das war er schon als Kind. Dafür wurde er von Schulkameraden ausgelacht und gemobbt, sodass er sein Hobby (und seinen Zukunftstraum) lange geheim hielt. Und dann schreibt er:
„Wie ich mich für meine Begeisterung für Pferde geschämt habe“ [1].
Der Satz bleibt bei mir hängen. Ich markiere ihn mir im Buch und schreibe daneben: Was ist eigentlich los mit uns?
Ein Bogen zurück zum Textanfang. Ich vermute, wir alle haben uns schon mal über das Aussehen einer anderen Person lustig gemacht. Heimlich getuschelt: Das sieht ja ganz furchtbar aus.
Vielleicht wäre die Fastenzeit mal wieder eine gute Möglichkeit zur Selbstreflexion: Macht es mich glücklicher, andere peinlich oder lächerlich zu finden? Noch dazu, wenn das, was sie tun, wirklich niemandem schadet. Wie halte ich es denn da mit dem Nächstenliebegebot? Und mehr noch: Ich will nicht, dass sich Menschen dafür schämen müssen, wenn sie von etwas begeistert sind. Wie schön ist denn das! Das begeistert mich ja selbst. Vor kurzem habe ich zu einem jungen Mann mit einem schrillen, ausgefallenen Outfit gesagt, wie großartig ich das finde. Das war es auch. Begeisterung ist nicht peinlich: Ob für die kleinen, schillernden Dinge oder für die großen Träume. Und wir brauchen sie.
Vielen lieben Dank für diesen wunderbaren Impuls.
Meine Töchter sagen manchmal zu mir: „Wie peinlich ist das denn, katholisch zu sein!“
Wir haben dann darüber geredet, was sie am „Katholisch-sein“ peinlich finden. Es waren erstaunliche Gründe, die teils auf Vorurteilen, teils schlichtweg auf Unkenntnis und/oder Peer-Group-Vorstellungen beruhten.
Seitdem wir darüber im Austausch sind, finden meine Töchter es nicht mehr peinlich, sondern „cool“, katholisch zu sein – zumindest manchmal.
Hallo liebe Frau Westphal, Ihr Blog wurde mir vorgeschlagen, da ich als Hobby Horsing Trainerin einen Google Search Alert auf das Thema angelegt habe. Daher habe ich auch Ihren Artikel gelesen. Danke, dass Sie das Thema aufgreifen und danke, für die damit verbundene Botschaft. Ich unterrichte seit Mai 2021 Hobby Horsing in einem Sportverein. Mittlerweile habe ich fast 40 Mädchen im Alter von 8-16 Jahren. Wir trainieren 3h die Woche, veranstalten selbst und gehen auf Turniere und verfolgen die Mission, Menschen davon zu überzeugen, es entweder selbst auszuprobieren oder uns in Ruhe Tun zu lassen. Sehr schwierig. Mittlerweile sind alle Menschen es scheinbar gewöhnt, ihren Hass und Ballast überall abzuwerfen. Social Media und Decknamen sei Dank, muss niemand mehr Rechenschaft über sein Tun ablegen. Das fängt genau bei der Aussage „Ist das peinlich! Wie kann die nur?!“ an. Wir bekommen regelrechte Hass Botschaften von erwachsenen Frauen und Männern. Schämen sollten diese sich. Statt auf der Straße rumzulungern und Unsinn zu treiben, machen die Kids einen wahnsinnig anstrengenden und anspruchsvollen Sport, lernen nähen und räumliches Denken. Peinlich sind daher in meinen Augen die, die uns verspotten. Kleingeistig. Man muss Mut haben. Und auch wenn wir uns sehr vom Hobby Horsing der FN unterscheiden und auch sportlich nicht in einen Topf geworfen werden wollen, so freuen wir uns doch über jeden Pferdemensch, der anerkennt, was die Kids leisten und sehen, wie viel Begeisterung, Liebe, Hingabe und Fleiß dahinter steckt. Anmelden geht bei uns übrigens nur noch auf Warteliste. So voll sind wir. Und so mutig sind diese Kids! Liebe Grüße aus der fernen Pfalz, Sandra Elena Unger
Hallo Frau Westphal,
Vielen Dank für diesen Artikel.
Es ist genau das, was viele ältere Kids beschäftigt. Ich trainiere Kids zwischen 6-16 Jahren in Melle! Seit 5 Jahren investiere ich Zeit und Herzblut in diesen Sport.
Und ich werde auch nicht damit aufhören.
Wir laden Sie herzlich ein, uns mal besuchen zu kommen. Die Kids freuen sich immer, wenn sie zeigen dürfen, was sie können.
Herzliche Grüße Kathrin Rumker und die HobbyHorse Kids Grönegau