Würde unantastbar

Holzklötze Würde unantastbar
Bild: Forum am Dom

Aus grobem Holz geschnitzt oder ebenmäßigen Platten, voller dunkler Äste oder fein gemasert, mit rauhen Rillen oder glatter Oberfläche – ganz unterschiedlich sind die Holzplättchen, die zurzeit im Forum am Dom auf den Tischen liegen.

Ihre Größe lädt dazu ein, sie in die Hand zu nehmen wie einen Handschmeichler. Dann spürt man das warme Holz und tiefe Furchen oder harte Kanten. Manche Ecke ist abgebrochen und einige Risse durchziehen die Hölzer. Ertasten lassen sich auch Worte, die ein Brandstempel ins Holz gebrannt hat: „Würde unantastbar“.

Auf jedem der acht Kaffeetische liegt ein solcher stummer Impuls zur Menschenwürde. Oft wird er beiseitegeschoben, um Platz für die Zeitung und die Cappuccinotasse zu schaffen. Manche Gruppe unterhält sich über ganz anderes als über die unantastbare Würde. Verständlich, denn das Wort „Würde“ klingt abstrakt und nach „old school“.  Ein Sprachlernkurs braucht schlichtweg den ganzen Tisch für die Italienischbücher.

Aber die Holztäfelchen sorgen auch für Aufmerksamkeit und intensive Gespräche. Eine Frau beklagt, dass die Menschenwürde weltweit so oft mit Füßen getreten werde. Eine andere fragt, „was ist Würde?“. Sie findet es wichtig, darüber zu sprechen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. So heißt es im 1. Artikel des Grundgesetzes, das vor 75 Jahren verkündet worden ist. Anlässlich dieses Gedenkens haben wir uns mit den Holztafeln einer deutschlandweiten Initiative des Künstlers und Diakons Ralf Knoblauch aus Bonn angeschlossen (Verein für Menschenwürde und Demokratie e.V. (wuerde-unantastbar.de)).

Über die Autorin

Daniela Engelhard ist Leiterin des Forums am Dom in Osnabrück. Bei der Arbeit in dieser Einrichtung der Citypastoral kommt sie mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Von Erlebnissen und Themen, die sie bewegen, berichtet sie in ihren Blogbeiträgen.

An vielen Orten wird darüber nachgedacht und das Gespräch gesucht: Was meint „Würde“? Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Menschenwürde in den Grundrechten zum Ausdruck gebracht, wie etwa in folgenden: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Artikel 2 und 3)“

Jeder Mensch ist wertvoll, weil er ein Mensch ist. So übersetze ich mir das Wort „Würde“ und  hole es in meinen konkreten Arbeitsalltag. Ob Museumsbesucherin oder Wohnsitzloser, Markteinkäufer oder Drogenabhängiger, Ausstellungsgast oder Asylsuchende, Kollegin oder Jakobspilger. Jeder Gast des Forums ist eine einzigartige Person, besitzt eine unantastbare Würde und verdient Wertschätzung und Respekt. Die Mischung der Gäste mit ihren Anliegen ist bunt und vielfältig, manchmal überraschend. Nicht alle, aber viele Wünsche können erfüllt werden, z.B. mit einer hilfreichen Information oder einem Beratungsgespräch oder in der ersten Herbstkälte einfach nur mit einem warmen Getränk an einem trockenen Aufenthaltsort.

Karten Würde unantastbar
Zum Mitnehmen: Den Denkanstoß „Würde unantastbar“ gibt’s im Forum am Dom auch im handlichen Papierformat

Ministerpräsident Stephan Weil verwies in seinem Grußwort zur Amtseinführung von Bischof Dominicus auf die Bibel als wichtige Quelle des Grundgesetzes. Die Bibel beschreibt den Menschen als Gottes Ebenbild. Im Antlitz eines Menschen erahne ich etwas von seinem göttlichen Schöpfer. Ein steiler Gedanke, der so herausfordernd wie faszinierend ist.

Etwas konkreter sind für mich die Holztafeln. Keine gleicht der anderen, jede ist ein Unikat. Die einen mit Rissen und Kanten, andere mit feiner Maserung und glatter Oberfläche. Sie sind so unterschiedlich wie die Menschen, die zu uns ins Forum kommen. Noch eine ganze Weile werden uns die Holzplättchen begleiten. Ebenso Karten, die die Gäste mit einem Stempel bedrucken können. Der Impuls bleibt wichtig: „Würde unantastbar“. Gerne lasse ich mich im Alltagstrubel daran erinnern. Und ich bin gespannt auf weitere nachdenkliche Gespräche.

4 Kommentare zu “Würde unantastbar

  1. Vielen lieben Dank für diesen Denkanstoß für das tägliche Leben.
    Gerade angesichts der zunehmenden Ressourcenkonflikte, die wir sowohl regional als auch weltweit führen, ist die Frage nach der Konkretisierung der Menschenwürde für mich eine entscheidende Grundlage zur friedfertigen Krisen- und Konfliktbewältigung.

    Ich finde, hierzu lohnt sich ein Blick in die Historie:
    Im nächsten Jahr begehen wir das 500-jährige Jubiläum der „Memminger Freiheitsrechte“: Im März 1525 schlossen sich 50 Vertreter der Allgäuer, Baltinger und Bodenseer Bauern zur „Christlichen Vereinigung“ in der Memminger Kramerzunft zusammen. Die anläßllich des Zusammenschlusses von Sebastian Lotzer verfassten „Zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern“ wurden zu einer Grundlage für unser heutiges Freiheitsverständnis. Mit der Verständigung auf die Grundprinzipien zur Gestaltung des politischen Gemeinwesens wie Freiheit, Gerechtigkeit, Wahl, Selbstbestimmung und Mitbestimmung wurde das Treffen der Bauern zu einer ersten deutschsprachigen verfassungsgebenden Versammlung.
    An den o.g. Grundprinzipien haben sich auch die verfassungsgebenden Versammlungen der Neuzeit orientiert und diese Prinzipien als sog. „Menschenrechte“ für das geliegende menschliche Zusammenleben formuliert.
    Ich persönlich finde es deshalb sehr bedauerlich, dass die Kirche(n) über lange Zeit hinweg eine – zum Teil wirklich militant geäußerte – ablehnende Haltung gegenüber den „Menschenrechten“ vertreten haben.

    Daher ist es gut zu sehen, dass sich hier das Bewußtsein verändert hat und die Menschenrechte nun auch global als Konfliktlösungsinstrument bei Ressourcen- und anderen Konflikten wahrgenommen werden.
    Auf der Interseite der Stadt Memmingen gibt es dazu interessante Impulse zum Nach- und Weiterdenken.

  2. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Art. 1 GG) Es ist gut, dass es diesen Artikel in unserer Verfassung gibt. Da der Mensch oft vergisst, ist es wichtig, immer wieder an ganze wesentliche Dinge für ein gelingendes Leben miteinander zu erinnern und darauf zu verweisen, wie wichtig gerade ein würdevoller Umgang aller Menschen ist. Im Christophorus-Werk werde ich bis Dezember durch eine Vielzahl von Gruppen gehen, wo wir, wo es möglich ist, bis zur Adventszeit ca. 3500 Täfelchen der entsprechenden Aufschrift brennen werden. Diese werden dann u. a. im Rahmen von Advents- und Weihnachtsfeiern an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilt. Inhaltlich wird dazu entsprechend gearbeitet. Alles Gute und eine gesegnete Zeit trotz aller Krisen, die an so vielen Orten präsent sind.

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