Begegnungen Backstage

Das Handy klingelt im Dauermodus. Hier taucht noch eine Frage auf, dort ist noch etwas zu regeln. In einer Stunde beginnt das abendliche Open Air-Konzert auf dem Domplatz, zu dem etwa 2000 Gäste erwartet werden. Die Spannung steigt. Das Sicherheitspersonal ist eingewiesen, die Technik läuft und das Forum am Dom steht bereit als Backstage für das Symphonieorchester und die Solistin des Abends. Ein wolkenfreier Himmel überspannt den Platz wie ein blaues Zelt, während sommerliche Temperaturen die Vorfreude steigern und beste Laune versprechen. All das vor einer Traumkulisse mit dem Dom, seiner wunderbaren Rosette und blühenden Linden, die ihren betörenden Duft verströmen.
Kurz bevor im Forum die ersten Instrumentalisten und Künstlerinnen erwartet werden, schlendern zwei Mitarbeiter der Rettungseinsatzkräfte erstaunlich entspannt durch die Tür herein. Sie wollen nur mal unsere Räumlichkeiten inspizieren, so ihre Auskunft mit professionellem Unterton. Sie würden aber einen sehr ruhigen Abend erwarten, wahrscheinlich ohne größere Vorfälle. Da gäbe es ganz andere Events, bei denen sie richtig unter Strom stünden. Ich begleite die beiden durch unsere Räume bis wir in einem schmalen dunklen Flur Halt machen. Die Männer stehen mir gegenüber, der eine schlank und riesig, der andere kleiner, aber kräftig. Es ist heiß und die Luft stickig. Eigentlich ist das gerade keine gute Idee, in dem engen Gang zu stehen. Aber einer der beiden beginnt überraschend ein Gespräch. Sichtlich erfreut erzählt er, dass er hier schon einmal vor vielen Jahren mit seiner Schulklasse war. Damals hatten sie eine Begegnung mit einer Ordensfrau. „Das war echt interessant, kann ich mich noch gut dran erinnern“, berichtet er. Das macht mich neugierig. Auf meine Nachfrage hin erzählt er, wie die Nonne über ihr Leben gesprochen habe. Das sei ja total anders als normal. Das viele Beten und nicht heiraten dürfen… Alles ein bisschen verrückt, aber die Schwester hätte ihn und die Mitschüler damals schon sehr beeindruckt. „War echt cool.“
Über die Autorin
Daniela Engelhard ist Leiterin des Forums am Dom in Osnabrück. Bei der Arbeit in dieser Einrichtung der Citypastoral kommt sie mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Von Erlebnissen und Themen, die sie bewegen, berichtet sie in ihren Blogbeiträgen.
Der große Kollege steht daneben und hört die ganze Zeit zu. Sein Gesichtsausdruck und die Falten auf seiner Stirn verraten, dass er nachdenkt. Kommen ihm auch Erinnerungen? Mit einem fast versunkenen Augenausdruck beginnt er zu erzählen. Er hätte einen Freund gehabt, der schon sehr früh Priester werden wollte. Und der hätte das tatsächlich durchgezogen, ist heute noch als Pfarrer tätig. Aus dem schlacksigen Mann in seinem nüchternen Einsatzdress sprudelt es heraus: Der Priester sei ein wirklich cooler Typ. Er hätte ihn und seine Frau kirchlich getraut. Plötzlich leuchten die versunkenen Augen. Als sie damals in der Kirche zu zweit vor dem Altar knieten, da hätte es ihn fast umgehauen. War echt krass. So etwas erlebe man nur einmal. „So ein toller Pfarrer und so eine gute Predigt. Den kann ich in der Kneipe treffen und dann ist der einer von uns.“ Auch seine Kinder sind von dem befreundeten Priester getauft worden. Bei diesen Worten funkeln die Augen des Mannes im dunklen Gang stärker als die Leuchtstreifen seiner Weste. Das wäre ihm wichtig, dass seine Kinder unter dem Segen Gottes stehen und seine Familie zu einer christlichen Gemeinde gehört. Gespannt höre ich zu und vergesse den ganzen Trubel um das Open Air – Konzert vor der Tür. Auch für die Rettungsleute scheint die Zeit eine Weile still zu stehen, so vetieft sind wir in unser Gespräch im engen Gang bei gefühlt 30 Grad. Was für ein Glück, dass in diesen Minuten mal kein Handy klingelt.
Als ich sehe, wie die ersten Orchestermitglieder mit Kontrabässen, Geigen und Trompeten ins Forum strömen, danke ich schnell den Rettungskräften für das Gespräch. Da klingelt auch schon wieder ein Handy. Alle müssen an die Arbeit. Nur noch kurze Zeit und der Platz vor dem Dom wird vom Publikum geflutet.
Schließlich haben die Gäste ihren Sitzplatz gefunden und die Musiker*innen ihren Weg vom Forum zur Bühne. Die ersten Töne von Edward Gregsons Saxophonkonzert erklingen. Zauberhaft. Wie geschaffen für einen lauen Sommerabend, den das Publikum sichtlich genießt. Während ich an der offenen Forumstür der Musik lausche, wandern meine Gedanken zu dem Gespräch mit den Rettungsmännern. Deep talk mitten im Backstagebetrieb. Wie kostbar das war. So eine Begegnung ist weder machbar noch planbar, einfach ein überraschendes Geschenk an einem außergewöhnlichen Sommerabend.
Herzlichen Dank für diese anrührende Geschichte. Ich teile diese Erfahrung von unverhofftem Deep Talk in meiner täglichen Arbeit – obwohl die Menschen in meinem Umfeld zum großen Teil ohne Begegnung mit dem christlichem Glauben sozialisiert sind!
Und dennoch spüre ich eine Sehnsucht bei vielen Menschen nach einem Zustand des Heil-Seins und nach Berühungspunkten mit dem Heiligen. In den vielen Begegnungen meines Lebens versuche ich immer, solche Berührungspunkte gemeinsam mit meinem Gegenüber zu finden. Eine spannende Reise, die nicht nur mich bereichert. Ich wünsche Ihnen und mir weiterhin viele Gelegenheiten zum Deep Talk.