Eine Frage der Herzensbildung
Beten: Was ist das eigentlich? Ein Gespräch mit Domkapitular Ulrich Beckwermert und Pastoralreferentin Lucia Zimmer über das Beten. Zusammen haben sie viele Jahre lang die Gebetsschule in der Domgemeinde organisiert.
Was heißt das eigentlich: beten?
Ulrich Beckwermert: Ich muss diese Frage immer bei den Elternabenden in der Kommunion- oder Firmvorbereitung beantworten. Da bringe ich es immer auf die Formel: Beten ist Begegnung. Und zwar die Begegnung mit dem menschgewordenen Gott, der uns mit vielem, was er sagt, an die Grenzen des Verstehens führt. Der uns fordert, der uns unruhig macht, der uns heilt, der uns liebt. Und der sich mit dem Zustand der Welt nicht zufriedengibt.
Lucia Zimmer: Für mich ist das in erster Linie die Kommunikation mit Gott. Das hängt damit zusammen, dass ich christlichen Glauben als Beziehungsgeschehen verstehe. In menschlichen Beziehungen ist das Gespräch untereinander wichtig, für die Beziehung zu Gott gilt das auch. Beten heißt für mich, dass der Mensch immer wieder neu diese Beziehung suchen muss, die Gott ihm anbietet.
Wie halten Sie es selbst mit dem Gebet?
Beckwermert: Beten ist nicht immer nur schön, da gibt es auch Scheitern. Romano Guardini hat einen Satz gesagt, der mir sehr wichtig geworden ist: „Der Mensch betet nicht gern.“ Das ist eine ehrliche Analyse. Er meditiert gerne, wird ruhig, geht im Wald spazieren, aber der Mensch betet eben nicht gern. Früher habe ich immer gedacht, gerade als Priester müsste ich doch gerne beten. Da habe ich von Guardini viel gelernt.
Zimmer: Ich habe lange nach einer Form gesucht, die zu mir passt. Ich habe vieles ausprobiert und eingeübt, auch das Stundengebet der Kirche. Heute nehme ich gerne das Tagesevangelium und lasse es 20 Minuten auf mich wirken. Abends blicke ich auf den Tag zurück: Mir hilft dabei die Vorstellung, dass sich Gott mit mir unterhält. Für das Gute kann ich danken, das Ungereimte kann ich loslassen und später ruhig schlafen.
Beckwermert: Ich bete ja eigentlich öffentlich, wenn ich die Eucharistie feiere. Während meiner Priesterweihe habe ich zudem dem Bischof und vor wahrscheinlich 1000 Gläubigen im Dom versprochen, das Stundengebet zu beten. Dafür muss ich nur das Buch aufschlagen und schon kann es losgehen. Ich gebe aber auch zu, dass mir das nicht immer gelingt.
Hat sich Ihr Beten im Laufe der Jahre verändert?
Zimmer: Ja, denn im Laufe des Lebens hat sich auch mein Gottesbild verändert. Früher stand vielleicht mehr das Bittgebet im Vordergrund, weil ich einen Wunsch erfüllt bekommen wollte. Heute frage ich eher, was Gott von mir will.
Beckwermert: Ich erlebe Veränderungen vor allem bei anderen Menschen, die ich als Seelsorger begleite. Gerade im Alter, wenn die physischen Kräfte nachlassen, wenn Krankheiten dazukommen, kann das Beten in eine große Krise geraten. Vielen ist dann wichtig, dass ich für sie bete.
Sie haben viele Jahre die Gebetsschule in der Domgemeinde zusammen organisiert. Wie sind Sie auf den Titel „Gebetsschule“ gekommen?
Beckwermert: Ausgangspunkt war die Feststellung, dass wir im Dom neben der Liturgie viel Kultur haben, Führungen oder Konzerte. Als Gemeinde haben wir uns die Frage gestellt, wie wir das Gebet fördern können, das ich mal als unser Kerngeschäft bezeichnen würde. Um den Titel Gebetsschule haben wir lange gerungen. Biblisch gesehen ist Jesus der Gebetslehrer. „Herr, lehre uns beten“, haben die Jünger gesagt. Mit der Zeit hat sich der Name dann aber etabliert. Wir haben allerdings jedes Jahr einen anderen Schwerpunkt gesetzt. 2013 geht es um den Sinn des Gebets.
Zimmer: Wir haben ja auch in anderen Lebensbezügen erkannt, dass lebenslanges Lernen wichtig ist. Wir gehen in die Volkshochschule oder zur Erwachsenenbildung, warum also sollten wir nicht auch in die Gebetsschule gehen?
Beckwermert: Wenn ich mich aber mit dem Wort Gottes beschäftige, dann geht das über simples Lernen hinaus, dann verändert das mein Leben. So gesehen hinkt der Vergleich mit der Schule.
Zimmer: Es sei denn, wir verstehen Schule als Ort der Bildung – in diesem Fall auch der Herzensbildung.
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