Auge um Zahn: Gewaltverzicht als Ausdruck der Liebe

Bibelfenster zum 24. Februar 2011:

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge, Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.

Einheitsübersetzung, Matthäus 5, 38-39.44

 

Ganz viele Eindrücke drängen sich mir auf, wenn ich diese Zeilen höre. An erster Stelle: Der prügelnde Pauker aus meiner Zeit am Gymnasium. Er hatte eine besondere Schlagtechnik entwickelt: links antäuschen, rechts zuhauen. Und wie. Mich hat das eine Zahnklammer gekostet. Fast täglich traf es einen von uns. Bei kleinsten Anlässen hieß es: „Strafarbeit oder Ohrfeige? Brille ab. Krach!“ Wenn wir uns heute als ehemalige Schüler treffen, lachen wir über diesen friedlosen Religionslehrer, der den Frieden auch noch im Namen trug. Die Feuerzangenbowle lässt grüßen …

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Solches Lachen vergeht einem natürlich, wenn man an die Opfer von körperlicher Gewalt, von Missbrauch und Misshandlungen denkt. Solches Lachen vergeht einem überhaupt, wenn man an die Opfer von Gewalt, Kriegen und Unterdrückung denkt. Da wird dieses Jesuswort zur Provokation. Will Jesus die Opfer noch hilfloser machen? Die Unterdrücker stärken? Was ist das für eine Gerechtigkeit, die nicht auf einen Ausgleich bedacht ist? Ist es nicht viel gerechter, mit „gleicher Münze“ heimzuzahlen?
Das Wort Jesu provoziert nicht nur. Es schockiert sogar angesichts der Ohnmacht der Opfer, die nach Gerechtigkeit dürsten. Warum sagt er so etwas? Ich glaube, Jesus will durch seine Provokation den immer wiederkehrenden Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen, der unser Leben und unsere Welt bestimmt. Er richtet sich gegen diese Spirale der Unmenschlichkeit und des Leidens. Jesus versteht den Gewaltverzicht dabei als Ausdruck der Liebe, die in der Feindesliebe gipfelt. Damit setzt er einen Kontrapunkt des Reiches Gottes in dieser Welt. Aber er nimmt uns damit nicht die Entscheidung für alle Situationen unseres Lebens ab. Der radikale Pazifist kann sich ebenso gut auf ihn berufen, wie der Politiker, der sich angesichts der Gewaltbesessenheit dieser Welt um verantwortungsbewusste Schritte zum Frieden bemüht.

Diakon Gerrit Schulte