Keine Angst vor Größe

Bibelfenster zum 21. Februar 2016

In jener Zeit verließ Jesus, erfüllt vom Heiligen Geist, die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher, und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt.  …
Da führte ihn der Teufel auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will.  Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm. In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.

Einheitsübersetzung, Lukas 4,1-6

Die Kommunionkinder unserer Gemeinde haben im Gottesdienst zu Beginn eine Zeitlang ein kleines Gebet gebetet: „Vor dir Gott bin ich klein, mit dir Gott bin ich groß.“ Es hat mich nachdenklich gemacht. Wie groß bin ich? (Oder der andere – etwa größer als ich?). Die Frage beschäftigt nicht nur Kinder. Auch Erwachsene fragen sich, wer der Größte ist, wer die anderen überragt. Ziemlich oft. Die Frage steckt hinter der Rivalität um Macht und Einfluss, die ein Teil unseres täglichen Miteinanders ist – bei der Arbeit, in der Kirche und auch in der Familie und führt zu vielen Spannungen und Konflikten.
Das kleine Gebet der Kommunionkinder spricht von der eigenartigen Größe mit Gott (und von einem Kleinsein vor Gott). In tiefen Gebetsmomenten erfahren Menschen wohl beides: sie fühlen sich auf würdige Weise sehr klein und zugleich befreit, über sich selbst hinauswachsend. In jeder Erfahrung geliebt zu sein, erfahren wir ähnliches: wir verlieren die Angst vor unseren Schwächen und wachsen beflügelt über uns hinaus. Mit diesen Erfahrungen vor Augen, kann ich mich in das Gebet der Kinder gut einfühlen: Mit dir Gott – von dir, Gott, geliebt – bin ich groß!

Das Bibelfenster

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In einem bekannten Text spricht  Marianne Williamson davon, dass diese wunderbare Erfahrung, groß und bedeutsam zu sein, auch Angst machen kann: Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind, unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind. …. Wir fragen uns: „Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, begnadet, phantastisch sein darf? Warum kann die Vorstellung, unermesslich machtvoll zu sein, Angst machen?
Jesus scheint sie zu kennen, sie stellt eine gerade zu teuflische Versuchung dar. Etwas scheint mit dieser Vorstellung nicht zu stimmen. Größenwahn? Allmachtphantasie? Wann kippt der Wunsch, groß zu sein und wird zur Anmaßung und Selbstüberhebung, die angstbesetzt sind. Jesus muss die Spreu vom Weizen trennen und sich darüber klar werden, welche Kräfte ihn antreiben. Größe, die aus der Erkenntnis kommt für Gott ein geliebtes Kind zu sein, macht keine Angst, sondern wird zur alles bestimmenden geistlichen Kraft. Aber sie mischt sich mit einer anderen Weise des Großseins, die wohl in jedem Menschen herumgeistert und auch in Jesus steckt: aus sich selbst groß sein, unabhängig von anderen, selbst das eigenen Machtzentrum zu sein. Jesus lernt, die eine Größe von der anderen zu unterscheiden.

Das Barometer der Unterscheidung ist die Angst.  Wer Angst hat, sich zu blamieren oder vom nächsten Besten, der um die Ecke kommt, entthront zu werden, der will ohne Gott groß sein. Wer seine Größe aus der Liebe Gottes empfängt, hat Freude daran und weiß, dass er konkurrenzlos ist. Jesus verleugnet nicht die Möglichkeit, groß zu sein, aber er entscheidet sich ein um das andere Mal sehr konkret, nicht ohne Gott groß sein zu wollen.  Nur für eine „gewisse Zeit“ heißt es in der Bibel, blieb er von der Versuchung verschont, sich diese falsche Größe anzumaßen.  Ich höre eine Einladung zu einer lebenslangen Übung, klein genug zu sein, um der Liebe Gottes zu bedürfen und groß genug zu sein, sich in dieser Liebe zu erheben.

Ich habe die Kommunionkinder vor Augen, die zu Beginn des Gottesdienstes ungelenk auf die Knie fallen und sich dann wieder hochrappeln. Das ist nicht gerade gekonnt, macht aber viel Mut mit Jesus zu üben „angstfrei groß zu sein“: Vor dir Gott bin ich klein, mit dir bin ich groß…

Ina Eggemann