Liebe als Gebot
Bibelfenster zum 9. November 2012
Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm, und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer. Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.
Einheitsübersetzung, Markus 12, 28-34
Es geht gleich ans Eingemachte: Der Schriftgelehrte fragt Jesus direkt nach dem höchsten Gebot – kein Drumherum.
Und Jesus? Er nennt gleich zwei Gebote – und in beiden geht es um die Liebe.
Das Erste: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.“ Das ist das Schlüsselgebet der Juden. Es stammt aus dem Alten Testament, aus dem 5. Buch Mose.
Liebe begegnet uns häufig im Alltag: in Liebesromanen am Kiosk, in den Medien, am Valentinstag im Blumenladen. Liebe ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Die Gottesliebe, die Jesus fordert, ist da schon ein hoher Maßstab, oder? Vielleicht fällt es schwer, jemanden zu lieben, den man nie gesehen hat, den man nicht berühren kann und der vielleicht nicht direkt auf Fragen und Sorgen antwortet.
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Aber Jesus geht sogar noch einen Schritt weiter. Er nennt ein zweites Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ In der Tora – Christen kennen sie als fünf Bücher Mose – sind nach traditioneller jüdischer Auffassung 613 Vorschriften enthalten: 248 Gebote und 365 Verbote. Jesu Antwort an den Schriftgelehrten ist eine Zusammenfassung all dieser Gebote – und die ist zeitlos. Nichts, was sich von Zeit zu Zeit ändert, wie Vorschriften und Paragraphen aus dem heutigen Gesetzesdschungel.
Jesus macht auf diese Weise deutlich, dass Gottes- und Nächstenliebe untrennbar zusammen gehören. Gottesliebe zeigt sich in der Liebe zum Nächsten – und umgekehrt. Gleichzeitig ist das Doppelgebot der Liebe etwas Verbindendes zwischen Judentum und Christentum. Die Gebote, die Jesus nennt, sind nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern haben ihren Ursprung im Alten Testament.
Auch wenn das Gespräch, das Jesus mit den Schriftgelehrten führt, lange zurück liegt – seine Worte haben bis heute Gewicht. Nächstenliebe kann im Alltag vielfältig sein: ein Besuch im Krankenhaus oder Altenheim, ein gut gemeinter Rat, der alten Dame im Bus den Sitzplatz anbieten, etwas geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. So können Jesu Worte an den Schriftgelehrten auch heute gelten: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“
Katharina Deuling