Das Nest ist leer – vom Leben als Paar, wenn die Kinder ausziehen

Kinder wohnen in Deutschland durchschnittlich 24 Jahre bei ihren Eltern. Mehr als zwei Jahrzehnte also prägt das Familienleben die Partnerschaft. Wenn die Kinder dann ausziehen, verändert sich auch das Leben der Eltern grundlegend, denn jetzt ist wieder mehr Zweisamkeit angesagt. Aber wie funktioniert das eigentlich noch mal, so allein zu zweit?
Diese Frage berührt viele emotionale und praktische Lebensbereiche. Es geht um Beziehung und Identität, um Alltagsroutinen und Pläne für die Zukunft. Worauf Paare achten sollten, um diese Phase gemeinsam genießen zu können, dazu hat Pastoralreferent Bernd Overhoff einige Tipps. Er ist Studienleiter im Kloster Frenswegen und bietet dort im September gemeinsam mit einer Kollegin aus der Beziehungspastoral des Bistums ein Wochenende für Paare zu diesem Thema an.
Kein Windelwechseln mehr und keine Türen knallenden Teenager. Der Kühlschrank ist voller, der Wäschekorb leerer und im Kalender stehen deutlich weniger Termine – wenn die Kinder ausgezogen sind, haben Eltern viel mehr Freiraum. Das ist doch super, oder?
Na klar, auf den ersten Blick trifft das eindeutig zu – und viele Paare genießen das auch sehr, diese neugewonnene Freiheit, die wiedergewonnene Zweisamkeit.

Und trotzdem ist dieser besondere Wendepunkt auch eine große Herausforderung. Jahrelang hat sich vieles darum gedreht, den Alltag der Kinder zu organisieren: welches Kind muss wann wo hingebracht werden, wann muss das Essen fertig sein. Oder die Konflikte, die man mit den Kindern hat oder die Sorgen, die man sich um sie macht – wenn das nicht mehr so einnehmend ist, stellt sich natürlich die Frage: Was bleibt jetzt noch übrig? Manche merken, dass sie eigentlich schon lange keine gemeinsame Basis mehr haben – außer der Kinder. Dann kommt die Entfremdung ans Licht, die sich über Jahre eingeschlichen hat. Manchmal kommen auch lang schwelende Konflikte an die Oberfläche, weil jetzt Raum dafür ist. Nicht umsonst ist die Scheidungsrate in diesem Lebensabschnitt besonders hoch, weil das für viele auch ein Punkt ist, an dem man schaut: Was haben wir aneinander und was wollen wir eigentlich noch voneinander?
Oje, das klingt hart …
So ist es gar nicht gemeint! Solche existentiellen Fragen können große Freude machen: Wie wollen wir leben? Was ist uns als Paar wichtig, wie wollen wir zusammen alt werden? Solche Fragen miteinander zu besprechen, kann super bereichernd sein. Umgekehrt machen solche Veränderungen auch vielen Menschen Angst. Es ist eine Phase großer Unsicherheit: Vertraute Strukturen und Abläufe brechen weg und man muss seine Rolle im Familiengefüge und in der Paarbeziehung neu finden. Und natürlich ist es auch eine Phase der Trauer und des Verlusts, weil die Kinder eben nicht mehr Teil des Alltags sind.
Was ist das Wichtigste in dieser Phase?
Weitere Infos
- Unter dem Titel „Das Nest ist leer – und jetzt?“ bieten das Bistum Osnabrück und das Kloster Frenswegen im September ein Wochenende für Paare an. Detaillierte Informationen dazu gibt es hier. Weitere Termine für Paare finden Sie hier.
- Wie die Liebe hält, auch über Jahrzehnte, das erklärt eine Diplom-Psychologin hier im Interview.
- Hilfe für Krisen im Alltag und an Wendepunkten im Leben bieten die Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatungsstellen des Bistums an verschiedenen Orten und online an: https://www.efle-beratung.de
Sich erstmal selbst klar zu werden, was man fühlt und miteinander darüber reden. Das kann ambivalent sein: Stolz, dass die Kinder so selbstständig sind und gleichzeitig Wehmut, dass sie einen gar nicht mehr brauchen. Manchmal ist das auch unterschiedlich stark ausgeprägt bei den beiden Partnern, weil einer sich vielleicht stärker über die Elternrolle definiert hat als der andere.
Hinzu kommt: Je nach Persönlichkeit erleben die einen den neuen Freiraum eher als Befreiung, also „Jetzt kann ich endlich …“ und jemand anders stürzt das in eine große Leere. Das wahrzunehmen und sich darüber auszutauschen, ist ganz wichtig. Außerdem: liebevoll miteinander Rückschau zu halten, was man geschafft hat als Paar und als Eltern und sich dann gemeinsam zu fragen: Wie wollen wir jetzt zusammen unsere Zukunft gestalten?
Was heißt das konkret?
Grundsätzlich ist es immer gut, solche Übergänge bewusst zu gestalten: Warum nicht auch beim Auszug eine Party feiern, wie man es auch bei anderen Übergängen, wie Geburt oder Einschulung, gemacht hat?! Oder schön zusammen essen zu gehen. Also jedenfalls etwas zu planen, was den neuen Lebensabschnitt kennzeichnet. Das kann auch eine Reise sein oder etwas, das man sich für den Alltag vornimmt – dass beispielsweise die Zeit, die vorher Familienzeit war, jetzt zur Paarzeit wird. Oder man schreibt sich schon vor dem Auszug zehn Dinge auf, die man gerne machen möchte, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Die Zettel kann man dann in ein Glas oder eine Art Schatztruhe legen und dann später nach und nach ziehen und hat so gleich ein paar gute Ideen.

Es braucht also eine gute Planung …
Naja, der Auszug der Kinder kommt ja meist nicht überraschend. Auch schon vorher wollen die Kinder mit ihren Eltern immer weniger Zeit verbringen und werden immer selbstständiger. So ist es weniger eine Frage der guten Planung, als eine Frage der Einstellung: Leben ist immer eine Aneinanderreihung von Abschieden und Neuanfängen. Leben ist Veränderung und in diesem Bewusstsein zu leben, jeden Tag, ist eine gute Vorbereitung auf so große Lebensereignisse.
Bei der kirchlichen Trauung wird betont, dass die Eheleute nie ganz allein sind – da ist immer Gott als Dritter mit im Bund … Kann der Glaube hilfreich sein, um sich als Paar wiederzufinden bzw. neu zu erfinden?
Ich habe ja gerade von den Veränderungen gesprochen. Gott bedeutet für mich hingegen Verlässlichkeit, Beständigkeit. Er oder sie ist da, ganz egal, wo ich gerade bin, wie ich gerade bin – ganz egal, wie sich mein Leben auch entwickelt. Ich glaube, dass Gott da ist mit seiner Liebe zu uns Menschen und uns begleitet, so dass wir nie alleine sind. Für mich ist das Halt und Trost in all den Veränderungen in meinem Leben. Wenn Paare dieses Gottvertrauen auch haben – und genau das bekommen sie ja in der kirchlichen Trauung im Segen zugesprochen: Gott geht mit – oder zumindest einer von beiden, kann das eine unglaubliche Bereicherung sein, um die Krisen des Lebens miteinander bewältigen zu können.