„Das Thema des Judentums ist in der Schule noch nicht richtig verankert“
Wie in der Schule über das Judentum gesprochen und dass klare Kante gegen Antisemitismus gezeigt wird, das ist Winfried Verburg wichtig. Deshalb hat der Abteilungsleiter Schulen und Hochschulen im Bischöflichen Generalvikariat des Bistums Osnabrück auch ein Gütesiegel für die kirchlichen Schulen angestoßen: „Zusammen gegen Antisemitismus“. Für diese Impulse bekommt er Ende August vom Verein „Begegnung Christen und Juden, Niedersachen“ den Blickwechselpreis verliehen.
Herr Verburg, Sie werden mit dem Blickwechselpreis ausgezeichnet. Grund ist unter anderem Ihr Verdienst um den Einsatz gegen Antisemitismus an Schulen. Warum setzen Sie sich gerade dafür ein?
Für das Thema Antisemitismus-Prävention setzen wir uns an den Stiftungsschulen und an den evangelischen Schulen ein, weil Antisemitismus ein virulentes Thema war und leider immer noch ist. Es ist wichtig, hier klar Stellung zu beziehen und junge Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Wenn ich morgen eine Gesellschaft haben will, in der es weniger Antisemitismus gibt als heute, muss ich heute in Schulen aktiv werden. Unsere Überlegung ist dabei, nicht nur punktuell mit Einzelaktionen Flagge zu zeigen, sondern über eine strukturelle Verankerung des Themas in den kirchlichen Schulen Akzente zu setzen und Impulse zu geben. Ich glaube, es steht Christinnen und Christen sehr gut an, auch aus theologischen Gründen gegen jegliche Diskriminierung von Jüdinnen und Juden anzugehen.
Ein Teil dieses Engagements ist das Gütesiegel „Zusammen gegen Antisemitismus“. Was müssen Schulen tun, um es zu erhalten?
Das Gütesiegel ist ein Zertifikat, um das sich kirchlich getragene Schulen in Niedersachsen bewerben können. Sie erhalten es, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Vieles davon machen die Schulen schon, wir fangen hier nicht bei null an. Das Gütesiegel zeichnet sich dadurch aus, dass die Präventionsarbeit gegen Antisemitismus und die Intervention, also das Einschreiten gegen antisemitische Äußerungen, im Schulleben verankert wird. Das Thema wird fächerübergreifend bearbeitet, zum Beispiel im Deutsch-, Politik-, Geschichts- und Religionsunterricht und dazu in Konferenzen und Elternabenden. Ein Kriterium ist auch, dass jede Schülerin und jeder Schüler einmal im Schulleben eine Holocaust-Gedenkstätte besucht hat. In der Oberstufe muss das Thema Antisemitismus gegen den Staat Israel, der aktuell nicht nur auf der documenta wahrzunehmen ist, behandelt werden.
Was denken Sie, wann wird das erste Gütesiegel verliehen?
Die Arbeit, um die Kriterien zu erfüllen, ist anspruchsvoll, weil alle Gremien der Schulen sich damit befassen müssen, um sie strukturell zu verankern. Das dauert erfahrungsgemäß ein Schuljahr und ich weiß von etlichen Schulen, die daran sind. Ein Antrag liegt bereits vor. Unser Ziel ist es, das erste Gütesiegel noch in diesem Kalenderjahr verleihen zu können.
Wird das Thema Judentum denn nicht bisher schon beispielsweise im Religionsunterricht entsprechend behandelt?
In der schulischen Bildung, auch im Religionsunterricht, ist das Thema des Judentums noch nicht richtig verankert. Das Judentum wird im Religionsunterricht in der Regel als Fremdreligion wahrgenommen. Wenn wir uns allerdings an die schöne Metapher von Paulus im Römerbrief erinnern, nach der das Christentum ein in die Wurzel des Judentums eingepfropfter neuer Steckling ist, sind wir keine Fremdreligionen. Dem Steckling kann es nicht egal sein, wie es der Wurzel geht. Papst Johannes Paul II. hat von geschwisterlichen Religionen gesprochen. Das müssen wir im Religionsunterricht noch deutlicher machen. Auch wie die biblischen Texte des Alten Testaments ausgelegt werden, ist für uns als Christinnen und Christen relevant und spielt aber im Religionsunterricht noch zu wenig eine Rolle.
Weitere Infos
- Eine Beschreibung des Gütesiegels „Zusammen gegen Antisemitismus“ kann hier heruntergeladen werden.
- Der Blickwechsel-Preis ist eine Auszeichnung für langjähriges oder innovatives Engagement im christlich-jüdischen Dialog. Der Preis wurde 2016 erstmalig vom Verein „Begegnung Christen und Juden, Niedersachen“ verliehen und steht für einen Austausch zwischen den Religionen auf Augenhöhe. Weitere Infos dazu gibt es hier.
Ein Gütesiegel – das hört sich an, als ob es ein Sahnehäubchen für kirchliche Schulen wäre: Schön zu haben, aber nicht zwingend notwendig. Müsste aber das Thema nicht für jede Schule stärker in den Fokus rücken – gerade weil die Shoah mittlerweile immer mehr in Vergessenheit gerät?
Natürlich ist es ein Auftrag jeder Schule, aktiv gegen Diskriminierung, auch religiöse Diskriminierung, vorzugehen. Mit dem Gütesiegel wollen wir die Schulen motivieren, das Thema strukturell zu verankern und zeigen, dass es in der Praxis auch möglich ist. Kirchlichen Schulen tut es zudem gut, wenn am Eingang so ein Gütesiegel zu sehen ist, damit Eltern und Schüler, die zu kirchlichen Schulen kommen, wissen, wofür diese Schulen stehen.
Erwarten Sie beim Thema Aufklärung zu Antisemitismus auch Änderungen im Lehrplan des Landes?
Schulen in freier Trägerschaft sind verpflichtet, die Gleichwertigkeit der Abschlüsse im Vergleich zu staatlichen Schulen zu garantieren, aber nicht die Gleichartigkeit. Insofern haben wir Freiräume und können sie nutzen. Ob das Auswirkungen auf die Lehrpläne des Landes hat, muss man sehen. Wir als kirchliche Schulen wollen bei der Antisemitismusprävention Akzente setzen. Wir machen vor, dass das nicht einfach nur theoretisches Gerede ist, sondern dass wir das in den Schulen auch leben.