Der freundliche Gott von nebenan
Er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle aus Einem; darum schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen und zu sagen: Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde dich preisen; und ferner: Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir geschenkt hat. Da nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er in gleicher Weise daran Anteil genommen, um durch den Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren. Denn er nimmt sich keineswegs der Engel an, sondern der Nachkommen Abrahams nimmt er sich an. Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn da er gelitten hat und selbst in Versuchung geführt wurde, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden.
Brief an die Hebräer 2,11-12. 13C-18
Natürlich haben die Theologen jedweder Konfession und auch die Philosophen aller Denkrichtungen recht: Gott ist immer der ganz andere! Gott ist immer ganz anders als es sich Menschen ausmalen und Gott entzieht sich jeglicher Manipulation durch Menschen. Gott ist frei und darum unverfügbar. Das ist wohl so. „Schade!“, möchte man dazu spontan aufseufzen.
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Aber warum sollte man an einen Gott glauben, der weitab von allem ist? Das ergibt doch keinen Sinn. Menschen wünschen sich einen nahen Gott, vielleicht sogar einen freundlichen lieben Gott von nebenan. Der 2005 verstorbene Kabarettist Hanns Dieter Hüsch trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er den „lieben Gott“ als jemanden beschreibt, der gelegentlich in Dinslaken am Niederrhein in der kleinen Wäscherei seiner Schwester aushilft und für den erkrankten Schwager mit dem Fahrrad Wäsche ausfährt und so mit den Leuten ins Gespräch kommt. Ein sympathischer Gedanke: Da ist er greifbar, der freundlichen Gott aus der Nachbarschaft.
Der Hebräerbrief greift zum Fest der „Darstellung des Herrn“ genau das auf. Jesus ist Gott und Mensch zugleich, das eine ist nicht vom anderen zu trennen. Somit gibt es auch keine Trennung von religiöser Erhabenheit und alltäglicher Einfachheit. Alles greift ineinander. Das Kleine ist groß und das Große kommt erst im Kleinen voll zur Geltung. Das Fest beschreibt, wie zwei alte Menschen mit den Augen ihres lebenslangen Traumes im kleinen Kind den großen Gott erkennen. Vielleicht muss man ein bisschen zum lebenslangen Träumer werden, um Gott zu erkennen – auch im Wäsche ausfahrenden Radler in Dinslaken am Niederrhein …
Pastor Michael Lier