„Der gesellschaftliche Druck geht nicht spurlos an den Landwirten vorüber“
Jeden Werktag können Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, das landwirtschaftliche Sorgentelefon anrufen, wenn sie Probleme haben. Das Angebot ist in Niedersachsen unter anderem an der Katholischen LandvolkHochschule Oesede angesiedelt. Neben dem Pastoralreferenten Christoph Mühl ist Constanze Brinkmann in der Geschäftsführung. Die Agraringenieurin erzählt im Interview, was diejenigen bewegt, die die Nummer 05401 86 68 20 wählen – abseits der aktuellen Diskussion um die Kürzungen beim Agrardiesel.
Warum braucht es ein Sorgentelefon für die Landwirtschaft?
Das Sorgentelefon ist an der Katholischen Landvolkshochschule Oesede entstanden: Seminarteilnehmer haben immer wieder Referenten angesprochen und ihnen von den persönlichen Problemen erzählt. Dabei stellte sich heraus: Da ist viel Druck und Redebedarf. Weil es in anderen Bundesländern diese Telefonberatung schon gab, hat man sich dort schlau gemacht. Vor 30 Jahren ist dann dieses sogenannte Montagstelefon entstanden. Das wurde sehr gut angenommen, so dass es auf alle Werktage ausgeweitet wurde.
Wer berät denn diejenigen, die anrufen?
Am Sorgentelefon sitzen Ehrenamtliche, die alle einen landwirtschaftlichen Hintergrund haben. Dieser „Stallgeruch“ ist uns wichtig und kommt bei den Anrufern gut an. Die Berater werden auch regelmäßig geschult und weitergebildet, unter anderem mit Angeboten zur Supervision.
Und welche Probleme werden geschildert?
Das sind zum überwiegenden Teil familiäre Probleme. Der Generationenkonflikt auf den Höfen wird oft angesprochen. Dann gibt es viele Paar- und Beziehungsprobleme. Auch Konflikte zwischen den Geschwistern kommen vor: zwischen denen, die den Hof übernehmen und denen, die weggehen. Da kommen Fragen wie: Was darf ich noch auf dem elterlichen Hof, wenn ich da nicht mehr wohne? Das ist sehr vielschichtig.
Es geht aber auch um gesundheitliche und psychische Probleme, Pflegebedürftigkeit der Eltern. Und natürlich gibt es betriebliche Probleme: Der Vater macht sich Sorgen, ob der Sohn die Nachfolge schafft. Oder umgekehrt: der Hofnachfolger macht sich Gedanken: Ist das wirklich meins? Wie sag ich das meinen Eltern, dass ich das gar nicht will? Sehe ich da eine Existenzgrundlage für meine Familie?
Warum tauchen diese ganzen persönlichen Probleme so stark in der Landwirtschaft auf?
Arbeiten und Leben in der Familie sind in der Landwirtschaft sehr eng verknüpft. Man kriegt dort viel voneinander mit. Und die existenziellen Sorgen betreffen meist die ganze Familie, weil häufig mehrere Familienmitglieder im Betrieb beschäftigt sind. Das birgt die Gefahr, dass es Ärger und Uneinigkeit gibt. Dann ist die Landwirtschaft einem hohen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt: Landwirte produzieren Lebensmittel und stehen unter einem besonderen Interesse, das sieht man im Moment, wo die Landwirte an die Öffentlichkeit gehen. Dieser gesellschaftliche Druck lastet auf den Personen, die auf dem Hof arbeiten und Tiere versorgen. Das Bild in der Öffentlichkeit ist zum Teil angekratzt durch die Tierschutzproblematik oder den Pflanzenschutz. Das macht etwas mit den Menschen auf den Höfen, das geht nicht spurlos an denen vorüber. Das greift sie in ihrem Urverständnis auch an.
Und wie können die Berater in den Gesprächen helfen?
Unser Motto heißt „hören, spüren, ermutigen“: Am Telefon ist also ein Mensch, der gut zuhören kann: Er fällt dem anderen nicht ins Wort, gibt nicht seine eigene Meinung preis, wertet nicht. Hört nur zu und fragt dann nach. Der Gefragte muss zum Beispiel formulieren, um was es geht, wer sonst noch betroffen ist, was sie bisher schon unternommen haben. Dem Anrufer wird so einiges deutlicher und er kann seine Problematik strukturieren. Dann spüren die Berater am Telefon zum Beispiel, da ist eine große Angst, wenn es um die Hofübergabe geht. Und sie sprechen diese Angst an und auch die Gefühle, die dahinterstehen. Und sie ermutigen den Anrufer, diese Angst wahrzunehmen und zugleich das Verhalten, das sie auslöst. Das kann eine Menge bewirken. Die Berater ermutigen zu konkreten Schritten: „Können Sie sich vorstellen, ihren Sohn darauf anzusprechen oder ihrer Tochter mitzuteilen, welche Sorgen sie haben?“ Damit man wieder ins Handeln kommt. Denn viele Anrufer sind auch in einer Starre gefangen.
Weitere Infos
Das landwirtschaftliche Sorgentelefon ist montags, mittwochs und freitags von 8.30 bis 12.00 Uhr und dienstags und donnerstags von 19.30 bis 22.00 Uhr erreichbar. Die Nummern sind: Bildungs- und Tagungszentrum Ostheide, HVHS Barendorf: 04137/ 81 25 40, Katholische LandvolkHochschule Oesede 05401/ 86 68 20, Evangelische Heimvolkshochschule Rastede 04402/84 48 8.
Das Landwirtschaftliche Sorgentelefon in Niedersachsen wird zum größten Teil finanziert vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Standort Oesede wird zudem vom Bistum Osnabrück getragen und vom Offizialat Vechta mit einem Zuschuss gefördert.
Das Sorgentelefon im Internet: www.sorgentelefon-landwirtschaft.de
Und ist die Hilfe nach einem Anruf beendet?
Das entscheidet der Anrufer selbst. Man kann jederzeit wieder anrufen, nur ist dann meist eben ein anderer Berater am Telefon. Eine weitergehende Möglichkeit ist die ländliche Familienberatung. Da kommen zwei Berater auf den Hof und führen mit allen Beteiligten Gespräche. Das sind Beratungsprozesse, die über mehrere Termine laufen.
Derzeit sind die Bauern mit ihren Protesten sehr präsent. Merken Sie das in den letzten Wochen?
Wir hatten 2023 mit 188 Gesprächen schon deutlich mehr Anrufe als die zwei Jahre davor. Aber aktuell merken wir keine Zunahme. Die Anrufer sprechen nicht gleich von der Politik. Da sind wir nicht die Anlaufstelle.
Aber wundern Sie sich jetzt über diese Proteste anlässlich der Streichung des Zuschusses für den Agrardiesel und auch über deren Vehemenz?
Nein, mich persönlich wundert das nicht. Landwirte planen einfach langfristig, die haben ganz andere Zyklen: Wenn die investieren, ist es für die nächsten 20 Jahre festgeschrieben. Und wenn dann Einnahmen einfach von heute auf morgen gekürzt werden, kann ich verstehen, dass sie erbost sind und auf die Straße gehen.
Das Sorgentelefon wurde vor 30 Jahren ins Leben gerufen. Hat sich in der Zeit etwas verändert?
Verändert hat sich, dass die Anrufer bereit sind, ihre psychischen Probleme, wie ein Burn-Out auch anzusprechen. Wir ermutigen die Leute dann, sich auch hier professionelle Hilfe bei einem Therapeuten zu holen.
Das Bild des schweigsamen Bauern, der seine Scholle beackert und alles mit sich selbst ausmacht – das stimmt also nicht?
Nein, das kann ich so nicht unterschreiben. Dass manche Menschen nicht gerne über ihre Gefühle sprechen, ist ja in anderen Familien und Berufen auch so. Oder dass Probleme nicht angesprochen werden, weil man Angst hat, es kommt zum Streit. Das ist nicht landwirtschaftstypisch. Es wird dort nur zu einem größeren Problem, weil man gemeinsam lebt und arbeitet.
Es gibt auch viele Landwirtschaftsfamilien, wo es gut läuft. Bei uns rufen diejenigen an, die Hilfe suchen. Und die warten oft sehr lange, bis sie zum Hörer greifen. Die Hemmschwelle ist sehr groß.
Aber sie ermuntern schon, sich lieber früher als später zu melden?
Ja genau: Auch mal auszuprobieren, wie das ist, wenn man das jemandem Neutralem erzählt. Manchmal ist es so, dass jemand von außen, neue Blickwinkel öffnen kann – oft besser als ein Familienmitglied oder Freunde.