Der Mensch – ein sexuelles Wesen

Pärchen im Bett
Bild: AdobeStock.com, Jacob Lund

Offen über Sexualität reden, das möchten künftig viele im Bistum Osnabrück – das wurde bei einem Fachtag zum Thema im Sommer 2021 deutlich. Nina Lubberich ist die Sprachfähigkeit zu Liebe und Lust schon seit Jahren ein Anliegen. Sie ist Theologin und Religionspädagogin und arbeitet als Pastorale Koordinatorin der Propstei St. Johann in Bremen. Außerdem hat sie 2014 eine Weiterbildung zur Sexualpädagogin abgeschlossen. Im Interview macht sie klar, dass Kirche zum Thema Sexualität einiges zu sagen hat.

Frau Lubberich, was genau macht eigentlich eine Sexualpädagogin?

Das Arbeitsfeld ist sehr vielfältig und im Grunde für alle interessant, die mit Menschen zu tun haben: Erzieherinnen, Lehrer, Sozialpädagogen, Fachkräfte in der Altenpflege, Leute, die in Beratungsstellen tätig sind oder mit Menschen mit Behinderung zusammenarbeiten – für alle ist es wichtig, sich mit Fragen zu Liebe und Lust, Gefühlen und Beziehungen auseinander zu setzen und darüber zu sprechen. Meine Ausbildung an einem unabhängigen Institut war sehr breit. In meiner praktischen Arbeit im Bistum Osnabrück hat sich in den vergangenen Jahren eine Spezialisierung auf Sexualität im Kinder- und Jugendalter und auf diverse Beziehungsformen ergeben – eine Folge der Anfragen, die aus Gemeinden und von Einrichtungen an mich gestellt wurden. Im Moment bin ich auf dem Gebiet vor allem beratend und fortbildend tätig.

Warum halten Sie diese Qualifikation gerade im kirchlichen Umfeld für sinnvoll?

Egal ob in der Gemeinde, in der Kita, in der Jugendarbeit oder in der Beratung – wir haben so viel mit dem zu tun, was die Herzen der Menschen bewegt, dass wir die Themen Sexualität und Beziehung nicht außen vor lassen können. Diese Aspekte sind so eng mit den Menschen verbunden, das prägt uns so sehr – im Positiven und im Negativen – dass man einfach darüber Bescheid wissen und darüber reden muss! Wenn ich Menschen ernst nehme, dann muss ich beispielsweise junge Eltern auch fragen, wo sie im Baby-Trubel als Paar bleiben. Damit meine ich nicht unbedingt Sex, aber zum Beispiel die Frage: Wo holt ihr euch eure Nähe her?

Wer an Sexualität und Kirche denkt, der denkt fast automatisch an sexuellen Missbrauch – oder an eine veraltete Sexualmoral und ein weltfremdes Bild von Partnerschaft. Welche Reaktionen haben Sie in den vergangenen Jahren auf Ihre Doppelqualifikation bekommen?

Eigentlich ausschließlich positive. Ich bin ja nicht die Einzige, die es für wichtig hält, den Blick auf Sexualität zu weiten. Das erlebe ich auch hier im Bistum, dass das gewünscht ist: nicht nur auf Missbrauch und Prävention zu schauen – so wichtig diese Themen auch sind – sondern auch darauf, dass Sexualität eigentlich ein positives und wertvolles Thema ist! Wenn ich mit Leuten über meine Doppelqualifikation spreche, gibt es da meist erst einmal Verwunderung oder Irritation, dass so etwas überhaupt geht und dann kommt die Frage: Wie hältst du den Spagat aus zwischen dem, was die Sexualpädagogik zum Menschen sagt und dem, was die Kirche lehrt oder wie sie sich zum Bespiel zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften positioniert.

Und, wie halten Sie das aus?

Als Theologin bin ich es ja durchaus gewohnt, Dinge zu hinterfragen, Bibelstellen beispielsweise auch mal mit einem anderen Blickwinkel anzuschauen: Was steht da beispielsweise wirklich zum Thema Fruchtbarkeit, welche Belege kann ich für eine differenzierte Sichtweise finden? Davon einmal abgesehen: Wenn ich in meiner Rolle als Sexualpädagogin unterwegs bin, dann bin ich auch genau das. Wenn es dann zum Beispiel im Gespräch mit Jugendlichen um Sex vor der Ehe oder Masturbation geht – da hat die Kirche ja eine sehr klare Meinung zu – dann fällt mir sicher nicht ein, zu sagen: „Das darf man nicht.“ Im Gegenteil! Da betone ich, dass das sehr wichtig ist für die persönliche Entwicklung.

Was muss man sich unter kindlicher Sexualität vorstellen?

Kindliche Sexualität ist etwas komplett anderes als die Sexualität bei Erwachsenen. Während letztere zielorientiert ist, sozusagen auf Erregung und Befriedigung ausgerichtet, geht es bei kindlicher Sexualität vor allem um Neugierde, ums Ausprobieren und Entdecken. Natürlich können auch Kinder Lust empfinden – das kann sich jeder vorstellen, der schon mal gesehen hat, mit welcher Inbrunst Babys am Schnuller oder Daumen lutschen. Aber Lust ist nicht die Basis kindlicher Sexualität. Wenn man das versteht, ist das Thema gleich nicht mehr so bedrohlich. Kindliche Sexualität hat nichts mit Erotik zu tun, sondern mit dem Forscherdrang der Kinder, die ihren Körper entdecken und lernen, was sich für sie gut anfühlt. Sie ist mehr ein Spiel, ein Körper-Entdeckungsspiel.

Sie sind selbst Mutter von drei Kindern – was möchten Sie denen zum Thema Sexualität mit auf den Weg geben?

Ein grundlegend gutes Gefühl beim Thema Sexualität. Ein positives Körpergefühl. Das fängt damit an, dass sie ihre eigenen Geschlechtsteile benennen können und führt zu dem Wissen, dass Berührungen und Beziehungen etwas Schönes sind. Es ist toll, wenn sie Sexualität als etwas wahrnehmen, was selbstverständlich zum Leben gehört. Ich will das nicht glorifizieren, es ist ein sensibles Thema, aber auch eins, das Spaß macht! Außerdem ist mir – nicht nur im Umgang mit meinen Kindern – immer wieder wichtig, die Vielschichtigkeit und die unterschiedlichen Facetten von Sexualität zu betonen. Dass es eben nicht nur um Penetration oder Fortpflanzung geht, sondern den Menschen in Gänze betrifft. Sexualität vollzieht sich immer in der Beziehung zu anderen Menschen – in ihr schlägt sich die Beziehungsgeschichte nieder, die wir von Klein auf gemacht haben.