Der Raum der Freiheit

Ballons am Himmel
Bild: unsplash.com, Luca Upper

Erfüllt vom Heiligen Geist, kehrte Jesus vom Jordan zurück. Er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt, vierzig Tage lang, und er wurde vom Teufel versucht. In jenen Tagen aß er nichts; als sie aber vorüber waren, hungerte ihn. Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Da führte ihn der Teufel hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen. Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es steht geschrieben: Seinen Engeln befiehlt er deinetwegen, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Da antwortete ihm Jesus: Es ist gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen. Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel bis zur bestimmten Zeit von ihm ab. 

Lukas 4, 1-13

Beim ersten Lesen des heutigen Evangeliums kam mir gleich die Geschichte vom Großinquisitor in den Sinn, die in dem Werk „Die Brüder Karamasow“ vom russischen Autor F. M. Dostojewski erzählt wird:

In dieser Geschichte erscheint Jesus zur Zeit der Inquisition. Er heilt und segnet. Eine Aura unendlicher Liebe geht von ihm aus. Doch der Großinquisitor lässt ihn einsperren, ohne dass das Volk ihm zur Hilfe käme. Der Großinquisitor wirft Jesus vor, dass er den Versuchungen des Teufels nicht nachgegeben hat. Die Freiheit, für die Jesus sich einsetzt und wegen der er sich weigert, dem Teufel zu dienen, überfordere die Menschen, so die Ansicht des Großinquisitors. Freiheit ängstige und verursache unendliches Leid. Dem Großinquisitor nach sehnen sich die Menschen nach Wundern und einer Autorität, der sie ihre Freiheit übergeben können. Sie wollen und können sie gar nicht selbst leben und gestalten. Sie verlangen Brot statt Freiheit.

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Die Ansicht des Großinquisitors und auch der Wunsch nach Sicherheit und Orientierung ist nachvollziehbar. Wir sehen die Erfüllung dieser Sehnsucht aktuell beispielsweise im Bereich der Politik und der Religion, wo populistische Parteien und Religionsgemeinschaften Zulauf gewinnen, die einfache Antworten liefern.

Anders Jesus: Er traut den Menschen zu, sich ihrer Freiheit zu stellen; es auszuhalten, den Unsicherheiten und Risiken des Lebens ausgesetzt zu bleiben. Der Preis der Freiheit ist manchmal hoch. Dennoch, gerade zur Wahrung dieser Freiheit hat Jesus den Versuchungen widerstanden. Ohne diese Freiheit ist die Liebe, wie Jesus sie gelehrt und gelebt hat, nicht denkbar. Ohne freie Selbstbestimmung und Willensfreiheit ist Liebe nicht Liebe, sondern Zwang.

Und es bleibt zu fragen: Ist es trotz des Wunsches, die Freiheit manchmal los zu werden, um Entlastung zu erfahren, nicht doch unsere tiefste Sehnsucht, selbstbestimmt zu leben, zu lieben und lieben zu dürfen? Wäre es nicht angebrachter, die Perspektive zu ändern und den Raum der Freiheit mehr als Chance denn als Gefahr zu sehen, gerade in unserer Zeit? Dann wäre es primäre Aufgabe für uns Christen, Jesu Beispiel zu folgen und die Menschen in ihrer Freiheit zu begleiten.

Christoph Lubberich