„Die Frage ist immer: Wie kann ich Frieden stiften?“

Militärseelsorger sind an dem Kreuz auf den Schulterklappen zu erkennen.
Militärseelsorger sind an dem Kreuz auf den Schulterklappen zu erkennen. Bild: KS / Doreen Bierdel

Daniel Brinker übernimmt ab dem 1. September das Militärpfarramt in Leer – obwohl er selbst nie „beim Bund“ war. Was ihn erwartet, welche Fragen er für sich auch noch nicht geklärt hat und wann er dann die Uniform anzieht, erzählt der 51-Jährige im Interview.

Herr Brinker, waren Sie „beim Bund“?

Nein, nie. Ich habe auch keinen Zivildienst gemacht. Als Priesteramtskandidat konnte man sich von der Bundeswehr freistellen lassen. Ich habe mich auch dafür entschieden, weil ich vorher diverse andere Praktika im sozialen Bereich absolviert hatte.

Und warum jetzt zur Bundeswehr als Militärseelsorger?

Ja, da gibt es ganz vielfältige Gründe. Den Anstoß gab, dass ich knapp am Burnout vorbeigeschlittert bin. In der Reha kam dann raus, dass ich etwas ändern muss, wenn ich gut weiterarbeiten soll und wenn ich gut weiterleben möchte. Es musste eine Veränderung her, ich konnte nicht länger Pfarrer einer Gemeinde bleiben.

Sie hätten doch zum Beispiel auch als Seelsorger ins Krankenhaus gehen können.

Ja, genau. Aber ich hatte schon immer mit der Militärseelsorge geliebäugelt, weil ich immer wieder Kontakt zu verschiedenen Militärseelsorgern hatte, wie in einem Praktikum auf Sylt vor meiner Priesterweihe. Außerdem ist einer meiner Studienkollegen Militärpfarrer in Aalen in Westfalen. Wir haben engen Kontakt und er hat mir erzählt, was er als Militärseelsorger macht und so habe ich großes Interesse an diesem kategorialen Bereich bekommen. Dazu kam, dass das Militärpfarramt in Leer, das einzige in unserem Bistum, frei wurde. Und dann hat letztlich eine Freundin zu mir gesagt, die mich sehr gut kennt: Wenn du es jetzt nicht machst, wann dann? Und wenn du es gar nie machst, dann wirst du auch nie erfahren, ob es geht.

Nahaufnahme vom Stander eines Kompaniechefs vom Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst "Ostfriesland" im Rahmen der binationalen Übung Quick Arrow 2015 in Schwanewede, am 06.06.2015.
Daniel Brinker wird unter anderem beim Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“ als Seelsorger wirken.

Jetzt haben Sie einen spannenden Zeitpunkt ausgewählt für ihren Dienst. Durch die Zeitenwende und den Angriff Russlands auf die Ukraine sind die Bundeswehr und die Aufrüstung Deutschlands große Themen. Hat das Einfluss auf ihre Entscheidung genommen?

Es hat insofern eine Wirkung auf mich gehabt, weil die Militärseelsorge einen anderen Stellenwert bekommt. So höre ich von meinen künftigen Kollegen in Leer und von Kollegen bei anderen Dienststellen, das seelsorgerliche Begleitung in der jetzigen Situation mehr nachgefragt wird. Wobei die Soldatinnen und Soldaten vor allem Zuhörer suchen, weniger Ratgeber.

Dazu kommt, dass Leer die Heimat des Schnellen Einsatzkommandos Sanitätsdienste (SES) ist. Die SES muss beispielsweise im Einsatzfall binnen 24 Stunden ein Feldlazarett aufbauen können und Hilfe im Hintergrund leisten. Mein Vorgänger hat mir berichtet, dass da Fragen aufkommen, wie: Wie ist es, im Kriegsfall mit vielen schwer Verwundeten in Kontakt zu kommen etc. Für mich ist das schon eine Herausforderung jetzt, die ich angehen will.

Wie werden Sie dann auf solche Gespräche mit den Soldatinnen und Soldaten vorbereitet?

In den nächsten etwa 18 Monaten stehen einige Lehrgänge auf dem Dienstplan. Zu Themen wie Gesprächsführung mit traumatisierten Soldatinnen und Soldaten. Da gibt es psychologische Einführungskurse, da gibt es den Kurs zum Auslandseinsatz, auch das kann ja sein, dass es mich betrifft, allerdings frühstens in zwei Jahren. Außerdem fällt in meinen Bereich auch das Bundeswehr-Krankenhaus in Westerstede, deshalb mache ich auch noch eine Ausbildung als Klinikseelsorger.

Was sagen Sie Menschen, die es grundsätzlich problematisch finden, dass Kirche und Militär überhaupt zusammenarbeiten?

Weitere Infos

Daniel Brinker
Daniel Brinker, künftiger Militärseelsorger beim Militärpfarramt Leer
  • Daniel Brinker war bis vor Kurzem Pfarrer in Salzbergen und Holsten-Bexten. Als Militärpfarrer in Leer wird er für die Standorte in Leer, Lorup, Nordhorn, Quakenbrück, Ramsloh, Weener und Westerstede zuständig sein. Neben dieser Aufgabe arbeitet er in begrenztem Maße als Priester in Aschendorf und Papenburg.
  • In Leer ist unter anderem das Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“ (KdoSES Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst) stationiert, dass im Einsatz sanitätsdienstliche Versorgung leistet. Im SES in Leer sind etwa 800 Soldatinnen und Soldaten stationiert.
  • Das SES war in den vergangenen 32 Jahren auf 16 Auslandseinsätzen, unter anderem in Afghanistan, Mali oder im Kosovo. Außerdem unterstützt das Kommando Hilfseinsätze wie 2005 bei der Tsunami-Hilfe in Südostasien oder 2023 bei der Erdbebenhilfe in der Türkei. Beteiligt waren Kräfte der SES auch 2021 bei der Evakuierungsoperation aus Kabul in Afghanistan.
  • Ein weiteres Interview mit Daniel Brinker findet sich im Kirchenboten.

Es braucht für jeden immer auch in Krisenzeiten, in schwierigen Zeiten eine Begleitung. Und es ist ja nicht so, dass ich als Militärseelsorger den Dienst an der Waffe tue, sondern es ist der Dienst an den Menschen. Ja, es ist der Dienst an den Menschen, die uns gegebenenfalls sichern und verteidigen würden. Auch die brauchen jemanden, bei dem sie all das, was sie beschäftigt, abladen können. Jede und jeder würde sagen, es ist schon gut, dass wir in einem Eskalationsfall verteidigt werden und in einem solchen Fall auch froh wären, die Bundeswehr zu haben.

Wie reagiert ihr Umfeld auf die neue Aufgabe?

Ich muss schmunzeln, was ich im Freundes- und Bekanntenkreis erlebe, wo alle fragen: Wann kriegst Du die Uniform und wann kriegst Du dies und wann kriegst du das? Ich bin Zivilist bei der Bundeswehr, also ich werde keine Uniform bekommen. Es gibt lediglich diese Flecktarn-Uniform für die Situation, wo ich mit den Soldatinnen und Soldaten auf Manöverübungen bin, wo ich sie begleite, damit ich einfach genauso aussehe wie sie. Aber ansonsten gibt es keine Uniform. Es gibt kein Gewehr, es gibt kein gar nichts. Ich bin und bleibe Zivilist bei der Bundeswehr.

Gottesdienst der Militärseelsorge an der Grotte im Wallfahrtsort Lourdes.
Gottesdienst der Militärseelsorge an der Grotte im Wallfahrtsort Lourdes.

„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“, lautet ein oft zitierter Spruch. Also es ist einerseits gut, dass man die Menschen, die uns verteidigen, auch seelsorgerlich betreut. Aber eigentlich wäre es doch gut, wenn es gar keine Armee bräuchte, oder?

Natürlich wäre es gut, wenn wir ohne Waffen Frieden schaffen. Ich bin ja ein Kind der 80er Jahre. Frieden schaffen ohne Waffen, so trugen wir damals Jutetaschen. Das Anliegen der Bundeswehr ist es auch, Hilfe zum Frieden zu schaffen und das möglichst ohne Gewalt und Gewehr. Nichtsdestotrotz wird man aber auch Dinge verteidigen müssen. Das ist ein großer Zwiespalt, dem ich mich stellen muss. Dazu habe ich noch keine eindeutige klare Meinung. Interessanterweise geht es beim Lebenskunde-Unterricht, den ich für Soldatinnen und Soldaten geben werde, vor allem um Friedensethik. Also es ist eine Gradwanderung. Ja. Und es ist auch eine Gradwanderung, dass Jesus sagt: „Selig, die Frieden stiften“, nicht „Selig, die das Gewehr in die Hand nehmen.“ Frage ist immer, wie kann ich Frieden stiften? Welchen Weg muss ich gehen?

Jetzt kommen Sie in der Bundeswehr in ein Klima, das jetzt nicht unbedingt kirchlich geprägt ist: Viele Soldatinnen und Soldaten sind nicht mehr Mitglied der Kirche und haben auch mit dem Christentum nicht viel zu tun. Wie wollen Sie dem begegnen?

In meinen ersten Gesprächen mit meinem Vorgänger, mit dem Militärdekan und meinem künftigen Assistenten habe ich schon gelernt: Die Bundeswehr in der Kaserne ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft draußen. Wir wissen ja, dass weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland Christen sind. Das heißt, ich habe eine ähnliche Situation erstmal wie draußen. Aber sie ist doch anders, weil sie hinter dem Zaun stattfindet, der uns jetzt nicht einsperrt wie im Gefängnis, aber die Kaserne ist doch ein Bereich für sich. Und die Menschen kommen zu einer Dienstzeit dorthin, also sie beginnen um 6:30 Uhr, 7 Uhr und gehen um 16 Uhr spätestens 16:30 Uhr nach Hause. Wie werde ich denen begegnen? Ich werde zunächst erstmal als Mensch begegnen. Ja, ich werde die ersten Wochen viel auf dem Kasernengelände unterwegs sein. Wenn irgendwo geübt wird, zum Beispiel wie man ein Zelt aufbaut, werde ich mich anbieten und sagen, kann ich da mal mithelfen. Wenn Gerätschaften geputzt werden müssen, werde ich mich anbieten, da zu helfen. Wenn Fahrzeuge gereinigt werden müssen, werde ich mich da anbieten. Oder werde vielleicht derjenige sein, der den Kaffee vorbeibringt.

Und wo taucht der Seelsorger dann auf?

Ich werde mir bei meinen Besuchen dann auch erlauben, den Seelsorger mitzubringen und zu fragen, wie geht’s euch? Was sind eure Anliegen? Was braucht ihr? Ich habe auch schon jetzt erfahren, dass all die Angebote, die die Militärseelsorge macht, sehr ökumenisch sind. Das ist ja sehr viel auch Familienarbeit. Also zu den Wochenenden und Werkwochen der katholischen Militärseelsorge fahren viele evangelische Christinnen und Christen mit, viele nicht Getaufte. Und als Seelsorger möchte ich erstmal offen sein für Menschen, für die Seelen der Menschen, für das Wohlbefinden der Menschen, ja, nicht im medizinischen Bereich, sondern seelsorgerisch. Das wird eine sehr spannende erste Zeit. Darauf freue ich mich.