Ein bisschen heilig
Vor einigen Jahren, vor dem Fest Allerheiligen, hatte die Redaktion einer Zeitung eine besondere Idee. Sie schickte einen Reporter auf die Straße, um verschiedenen Menschen eine einzige Frage zu stellen: „Kennen Sie jemanden, der ein bisschen heilig ist?“ Am Anfang, so schilderte der Reporter, gab es bei dieser Frage ein Problem. Manche wussten mit dieser Frage gar nichts anzufangen.
Andere lachten nur darüber und meinten: Sie kennen nur normale Menschen. Die Situation änderte sich jedoch, als eine Frau diese Frage ernst nahm und sagte: „Ja, ich glaube ich kenne so einen Menschen. Unsere Nachbarin. Ihr Mann ist nierenkrank und sie muss mit ihm jede Woche ins Krankenhaus fahren. Trotz ihrer Probleme ist sie aber immer freundlich und zuvorkommend.“ Ja, und plötzlich nahmen auch die anderen Befragten diese Frage ernst und entdeckten in ihrer Umgebung Menschen, die vielleicht doch „ein bisschen heilig“ sein könnten: Von Schicksalsschlägen wurde berichtet, die geduldig und tapfer getragen werden; von Hilfsbereitschaft, Zeit haben, von Freundlichkeit und Geduld, die man durch Menschen tagtäglich erfährt. Und endlich wagten die befragten Menschen auch zu sagen: „Ja, die könnten ein bisschen heilig sein.“
Vielleicht denken Sie: „Ein bisschen heilig? Ist doch eine komische Antwort, warum dann nicht ganz heilig?“
Ja, so habe ich am Anfang auch gedacht, aber vielleicht hängt die Formulierung auch mit dem Wort „heilig“ zusammen, das doch nicht mehr jedem so vertraut und zudem oft negativ konnotiert ist.
Und wenn schon heilig, dann sind das bestimmt keine Menschen, die ich kenne …
Über den Autor
Johannes Wübbe ist Weihbischof im Bistum Osnabrück. Auf wen er in seinem Alltag trifft und was ihn bewegt – in seinen Blogbeiträgen können Sie das verfolgen.
Dabei sagt jemand, den die Kirche als Heiligen verehrt, Franz von Sales: „Jeder Mensch kann heilig werden, denn die Voraussetzungen für die Heiligkeit sind nicht irgendwelche außergewöhnlichen Taten, sondern wir müssen nur an jenem Platz, an dem wir stehen, das tun, wozu wir berufen sind.“
Franz von Sales war der Überzeugung: Das, was du gut kannst, aber auch das, wozu das Leben dich herausfordert, sich dem nicht zu verweigern, das ist der „normale“ Weg zur Heiligkeit.
Fallen Ihnen Menschen ein, die ihr Leben so verstanden haben? Die auch „ein bisschen heilig“ waren? Vielleicht sind diese auch nicht mehr alle unter den Lebenden, und Sie besuchen sie in diesen Tagen an ihren Gräbern.
Brennende Kerzen dürfen daran erinnern, dass sie nicht im Dunkeln sind, sondern in der Nähe des Lichtes, in der Nähe Gottes …
Unsere Bemühungen, unsere Fehlschläge, unser Versagen und immer wieder kleine oder kleinste Erfolge werden sicher belohnt.
Ich habe im Himmel ganz viele „Ein-bisschen-heilige“, die mir immer wieder Mut machen, auch auf dem Weg zu Gott nicht die Wegränder aus den Augen zu verlieren, meine Mitmenschen, die ebenso wie ich am Heiligsein üben und arbeiten, jeden Tag.