Ein Blick zurück

eine Straße mit Bäumen
Bild: unsplash.com, Julian Hochgesang

In der aktuellen „Kirchendiskussion“ begegnen mir immer wieder eine Frage und eine Aussage, nämlich: „Wie konnte es überhaupt zu den ganzen Missbrauchsfällen kommen?“ und „Das mit den Reformen geht alles viel zu langsam!“ Heute Abend blätterte ich durch Zufall einen Ordner mit alten Texten von mir durch, vor gut zwanzig Jahren geschrieben. Und da fand ich folgenden Text, der eigentlich schon eine Art „Zeitzeugnis“ ist. Aber lesen Sie selbst:

„Ich hatte einen Kurs für Priester geleitet und fuhr auf der Heimfahrt bei meinen Eltern vorbei. Ich erzählte kurz, wo ich herkam, fragte, was es Neues gäbe. Aber mein Vater war nicht ganz bei der Sache und fragte plötzlich, wie aus heiterem Himmel: „Du hast jetzt also mit über zwanzig Priestern gearbeitet?!“ Es klang eher nach einer Frage – und so antwortete ich dann auch: „Ja, klar!“. Mein Vater schwieg und an seinem Gesicht sah man, dass er nachdachte. Dann kam es mit einem zweifelnden Unterton in der Stimme: „Und du hast denen was zu sagen?“ – „Na ja, ich denk schon, sonst hätten sie mich ja nicht gefragt!“, gab ich, nun doch schon etwas irritiert, zurück. Auch diese Antwort musste mein Vater erst verarbeiten, er schaute mich leicht von der Seite an und dachte wiederum nach. Und dann kam es, wirklich tief aus seinem Inneren: „Und die hören dir auch noch zu???“

Ich gebe gerne zu, für einen Moment war ich wirklich sprachlos. Der Kurs war gut gelaufen, ich hatte zu dem Thema und den Fragen etwas zu sagen gehabt – und die Priester hatten durchaus zugehört. Wie kam mein Vater zu diesen Fragen?

Auf der Heimfahrt dachte ich lange über diese kleine Szene nach – und so langsam dämmerte es mir. Mein Vater hatte durchaus nicht an den Fähigkeiten seiner Tochter gezweifelt – aber die Tatsache, dass ich als Frau, als Nicht-Theologin, zwanzig Priestern etwas zu sagen habe – und die dann auch noch zuhören, das hatte sein Priesterbild vollkommen durcheinander gebracht. Für ihn ist ein Priester etwas, was in die himmlisch-heiligen Sphären gehört, weit weg von allem Profanen. Das ist der „Herr Pfarrer“, über alle Kritik erhaben, durch die Weihe mit allem gesegnet, qua Amt ein kleiner Herrgott auf Erden. Und solchen „Halbgöttern“ soll seine Tochter, die er ja nun auch kennt, wirklich etwas zu sagen haben?“ (Text von 2003)

Über die Autorin

Andrea Schwarz ist Schriftstellerin, war lange Jahre pastorale Mitarbeiterin im Bistum Osnabrück und lebt im Emsland. Sie ist eine genaue und sensible Beobachterin ihrer Umwelt und der Menschen, denen sie begegnet. In ihren Texten versucht sie, Gott mitten im Alltag zu entdecken und Lust aufs Leben zu machen – nun erstmals auch in Form von Blogbeiträgen!

Das war das Priesterbild nur einer Generation vor uns – und natürlich Einflugschneise  für möglichen Missbrauch. Was hat sich da in der Zwischenzeit nicht schon alles getan! Mir geht ein Satz durch den Kopf: „Freunde, wir sind ganz schön weitergekommen!“ – wenn ich nicht ganz falsch liege, dann ist er von Wolf Biermann.

Zugegeben, das ist keine Antwort auf die Aussage: „Es geht immer noch alles zu langsam“ – und es gibt, weiß Gott, auch noch genug zu tun! Aber das habe ich damals auf dem Pilgerweg nach Santiago gelernt: Manchmal, wenn das Ziel unerreichbar fern zu sein scheint, kann es ganz gut tun, zurückzuschauen und zu sehen, welchen Weg man schon gegangen ist. Das kann Kraft für die nächsten Schritte geben. Und die werden wir brauchen … sowohl die Kraft, wie auch die Schritte …

2 Kommentare zu “Ein Blick zurück

  1. Guten Morgen,
    mich hat dein Text heute sehr berührt und meiner Seele gut getan. Ich bin Bildungsreferentin der kfd und meistere täglich den Spagat zwischen den Frauen die vorran rennen und denen die einfach vertrautes noch nicht lassen können.
    Und wenn es dann nicht schnell genug geht, wendet Frau sich ab und kämpft nicht mehr weiter, das macht mich traurig. Es lässt mich hilflos auf das schon Bewegte zurück schauen und raubt mir die Motivation und Kraft langsam und stetig weiter den steilen Berg der Veränderung bergan zu
    gehen.
    Danke für den Segen der Ausdauer, gute vorösterliche Tage und den hoffnungsvollen Neubegin
    Dorothea kfd DV PB

    1. Liebe Dorothea, ich kann Deine Situation gut verstehen und die Gefühle nachvollziehen… beides ist mir sehr vertraut! Und es kostet viel Kraft, so eine Karawane beisammen zu halten, wenn man nicht jemanden zurück und andere ziehen lassen will. Patentrezepte gibt es da wohl (leider!) keine. Die hatte auch Jesus nicht. Aber er hatte Positionen und Überzeugugen, die er vertreten hat – und hat trotzdem dabei den Menschen nicht aus dem Blick verloren.
      Ich wünsche Dir dazu die österliche Kraft und Hoffnung für den Weg – und den langen Atem des Pfingstgeistes!
      Mit herzlichen Grüßen aus dem Emsland,
      Andrea

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