„Ein Knast ohne Seelsorge wäre ein trostloses Pflaster“

Für Menschen in Haft sind Gefängnisseelsorger wichtige Ansprechpartner. Alle Gespräche mit ihnen sind vertraulich. Und die Gottesdienste und Gruppentreffen sind eine willkommene Abwechslung vom Alltag hinter Gittern. Das weiß auch Emil* (*Name geändert) zu schätzen.
Emil, 39 Jahre alt, ist einer von mehr als 600 Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremen-Oslebshausen. Er sitzt schon lange hinter Gittern. Und er hat eine besondere Beziehung zu Diakon Richard Goritzka, dem katholischen Gefängnisseelsorger, aufgebaut – einem Menschen, den er schätzt und dem er vertraut. Kennengelernt haben sie sich, als Emil in U-Haft kam.
Da befasste er sich bereits mit Glaubensfragen. Geweckt wurde sein Interesse aber vorher, bei der Bundeswehr, als die Soldaten mit einem Priester einen katholischen Feldgottesdienst feierten. Emil gefällt es, dass sich der geregelte Ablauf der Heiligen Messe in allen Sprachen gleicht.
Obwohl er evangelisch aufwuchs, ließ sich als Jugendlicher nicht konfirmieren. „Ich war damals noch nicht so weit.“ Und anders als seine Kumpels wollte Emil „nicht nur wegen der Kohle“ zur Konfirmation gehen. An Ostern und Weihnachten ging er zum Gottesdienst, sonst nicht.
Geschenke für Omas Geburtstag besorgt
In der Haft dachte Emil intensiver über religiöse Fragen nach, konvertierte zur katholischen Kirche – und wollte sich schließlich firmen lassen. Richard Goritzka begleitete ihn auf dem Weg dahin, sprach mit ihm über Bibeltexte. Den Tag seiner Firmung feierten die Eltern und die große Schwester in der Gefängniskapelle mit.
Seine Mutter ist mittlerweile gestorben. An ihrer Beerdigung nahm auch Diakon Goritzka teil. „Eine tolle Geste“, sagt Emil. Als seine Oma 90 wurde, besorgte ihm der Seelsorger Blumen und ein Glas Honig, Geschenke, die er (begleitet von Justiz-Bediensteten) zum Geburtstag mitbringen konnte.
Emil empfindet den starken Rückhalt durch seine Familie als Segen. Dass der Seelsorger bereit ist, in besonderen Situationen Kontakt zu seinen Angehörigen aufzunehmen, findet er gut. Gelegentlich schickt die Familie ihm ein Paket, zum Beispiel mit Kleidung.

Alle zwei Wochen versammelt sich Emil mit rund 30 anderen Inhaftierten zum Gottesdienst, den Diakon Goritzka in der Gefängniskapelle feiert. „Mir geht es um den Gottesdienst“, betont Emil, nicht darum, ob die Feier evangelisch oder katholisch ist.
Der Häftling schätzt es, vorher und nachher ein paar Worte mit dem Seelsorger wechseln zu können. Für ihn sind diese Minuten „ein Hauch Selbständigkeit“, eine positive Abwechslung. Denn im grauen Alltag in der Anstalt erlebt er oft Ohnmacht, empfindet vieles als entwürdigend. Die Bediensteten neigten zu einem gewissen Misstrauen. Zudem werden auf den Fluren und zu den Zellen ständig Türen geöffnet und Türen geschlossen. „Die Schlüsselgeräusche und das Türenschlagen machen einen oft verrückt.“ Und was außerhalb von Gefängnismauern selbstverständlich ist – mal eben eine Pizza bestellen – ist in der Haft nicht möglich.
Der Seelsorger bemüht sich, beim Gespräch eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Auf dem Tisch stehen Kaffee und Gebäck. Die Teelöffel haben ein Loch; so werden sie nicht entwendet, um Drogenabhängigen als Besteck für die Vorbereitung einer Spritze zu dienen.
In der Gruppe „Bibel und Zeitung“
Viel Alltagsfrust kommt zur Sprache, wenn sich einmal im Monat die Pastorengruppe „Wolkenschieber“ trifft, so genannt von Pastor Christian Fischer, dem evangelischen Gefängnisseelsorger in der JVA Oslebshausen. Dann würden sich die Häftlinge „über den Alltag auskotzen“, sagt Emil. Die Gruppe trifft sich in der „Oase“, einem kargen Raum neben der Kapelle, für den Emil ein Holzschild gefräst hat, das über der Tür hängt.

Während der Untersuchungshaft nahm er an der Gruppe „Bibel und Zeitung“ teil. Da lädt Diakon Goritzka dazu ein, über das Tagesevangelium zu sprechen und einen Zeitungsartikel miteinander zu lesen. „Einen Input von Jenseits der Mauern hineinholen“ nennt er das. Mal kommen drei, mal kommen sechs oder acht Männer dazu.
Von Zeit zu Zeit sucht der Häftling das Vier-Augen-Gespräch, für das er sich bei Diakon Goritzka anmeldet. Die Unterhaltung dreht sich dann um viele Themen. Der Seelsorger empfiehlt ihm manchmal, bestimmte Bibelstellen zur Lektüre und Interpretation. „Herr Goritzka versucht immer, einen Wink zur Religion und zum Glauben zu finden“, erzählt der Häftling. Gelegentlich sprechen sie dann über eine Bibelstelle. „Herr Goritzka findet in meinen Worten immer einen Anhaltspunkt, auf den er eingeht. Ich versuche, so konkret zu sprechen wie möglich!“
„Einzelgespräche sind wie Gold“
Ob Bibel, Probleme oder Alltagserlebnisse: Das Gesagte bleibt vertraulich. „Man kann über alles reden. Deswegen sind die Einzelgespräche wie Gold.“ Der Gefängnisseelsorger gibt Inhalte nicht weiter, hält sich an die Schweigepflicht, die für die Psychologen in der JVA nicht in gleicher Weise gilt.
Beim Seelsorger können die Häftlinge ihren Emotionen freien Raum lassen, sagen, was ihnen auf der Seele brennt. Das eine oder andere bricht sich dann schon mal Bahn, sagt Emil. „Es wird wertgeschätzt, was man sagt. Man wird wahrgenommen.“ Den Kontakt empfindet er als „befreiend, auch wenn wir im Gefängnis sind“.
Er lobt den Diakon, weil er nicht eng auf Konfession oder Religion fixiert ist und sich ebenso um Muslime und Atheisten kümmert wie um Christen. „Wer mit ihm sprechen will, dem versucht er zu helfen. Der Mann für alle Fälle.“ Und er wünscht sich, dass die Bediensteten den Gefängnisseelsorger stärker anerkennen.
Richard Goritzka kümmert sich nicht nur um einzelne Häftlinge, sondern sorgt gelegentlich für Abwechslung im Haftalltag, indem er Events wie Konzerte mit einem Gospelchor, Autorenlesungen, den Auftritt eines Klavierduos oder eine Filmvorführung organisiert.
Emil hofft, bald in den offenen Vollzug zu wechseln. Dann will er das Abitur nachholen. „Die Seelsorge ist eine ganz starke Säule in der JVA“, stellt er am Ende des Gesprächs fest. „Ein Knast ohne Seelsorge wäre ein trostloses Pflaster.“