Ein Rufer im Hier und Heute
Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn. Wie geschrieben steht beim Propheten Jesaja – Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bahnen wird. Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! – , so trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden. Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig. Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.
Markus 1,1-8
Kaum einer hat Johannes den Täufer, von dem das heutige Evangelium handelt, so treffend dargestellt, wie der Künstler Otto Pankok mit einem Holzschnitt von 1936. Da begegnen wir einer Figur, die weder Zeit noch Geld dafür aufbringt, die Kleider zu ordnen, Risse und Löcher zu nähen oder den Bart und die Haartracht zu pflegen. Allein aber aufrecht und mit hoch erhobenem Zeigefinger steht da eine verwegene Gestalt. Der dürre Mann erhebt die Stimme aus weit geöffnetem Mund, er zeigt den Mächtigen die Zähne. Sein Blick unter zusammen gezogenen Augenbrauen verrät: Der lässt sich nicht beirren. Der lässt sich nicht einschüchtern. Ein radikaler Mahner!
1936 hat Otto Pankok „seinen“ Täufer geschaffen. Die Nazis hatten ihm gerade ein Arbeitsverbot erteilt, seine Bilder galten als „entartete Kunst“. Pankok war – 1893 geboren – inzwischen selbst zu einem Rufer in der Wüste geworden.
Schwer verletzt und verschüttet im Ersten Weltkrieg wurde er 1917 nach langen Aufenthalten in Sanatorien aus dem Militärdienst entlassen. In seinen Werken wurde Pankok in der Folge so etwas wie der „Chronist der Verfolgten“. Während der Nazi-Diktatur versteckte er sich unter anderem in Gildehaus in der Grafschaft Bentheim, wo heute auch ein Museum seinen Namen trägt, danach bis 1941 in Bokeloh bei Meppen im Emsland. Auch hier erinnert man an den Künstler, dessen berühmtestes Werk sicherlich der Holzschnitt von 1950 ist: „Christus zerbricht das Gewehr“ – Erkennungszeichen vieler Friedensbewegungen. Nach Krieg und Nazi-Terror lehrte Pankok, der zuvor schon Freundschaften mit Künstlern wie Otto Dix unterhielt, als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie. Zu seinen Schülern zählten hier Künstler wie Günter Grass und Günther Uecker.
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Johannes der Täufer, den Pankok in dunklen Zeiten so eindrucksvoll darstellte, spricht in all seinen Rufen und Mahnungen ganz und gar in Bildern des Alten Testamentes. Er verkündet Umkehr und Taufe mit drastischen Worten. Und er sagt den Menschen, wie sie handeln sollen. Als die Leute ihn fragen: Was sollen wir denn tun? antwortet er ihnen: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.“ Den Zöllnern, die damals als Betrüger und Wucherer galten, sagte er: „Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.“ Den Soldaten sagte er: „Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!“ (siehe auch Lukas 3, 11-14)
Otto Pankok schuf „seinen“ Täufer in einer Zeit der Unmenschlichkeit als Mahnung zur Umkehr. In welchen Wüsten der Menschlichkeit müssten wir heute unsere Stimme erheben, um der Gerechtigkeit die Wege zu bahnen? In den zerstörten Städten, den zerbombten Krankenhäusern und Schulen Syriens etwa, in den Hütten der Hungernden im Jemen, unter den frierenden und erschöpften Flüchtlingen auf Lesbos oder den Kanaren, vor den brennenden Häusern in Bergkarabach, unter den Demonstranten in Belarus oder in den Gerichtssälen in Hongkong…
Diakon Gerrit Schulte