Eine lebenslange Suche
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch. Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
Johannes 14,15-21
„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist … “ Das alte Kinderspiel könnte jetzt durch Covid-19 während der social distance in manchen Familien wieder zu Ehren gekommen sein. Obwohl es schon viele Jahrzehnte her ist, dass ich es als Kind mit Mutter oder Schwester gespielt habe, fühle ich mich durch das Evangelium vom jetzigen Sonntag daran erinnert.
„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist … unsichtbar.“ Das wäre nach den Spielregeln dieses Kinderspiels nicht möglich, zu sagen. Denn es sollen ja Gegenstände im Raum geraten werden, die man beschreiben kann: nach Farbe, nach Form und nach Lage. Etwas als „unsichtbar“ zu benennen ist also gegen die Regel. Da könnte man sich ja sonst alles Mögliche ausdenken.
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Ich fühle mich an dies Spiel erinnert, wenn ich lese: „Die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet.“ Was kann ich denn sehen, was meine Mitmenschen nicht erkennen können? Und wieso ist da einer lebendig, der mausetot am Kreuz hing, nachdem er dort elendig gestorben war? Es könnte ja auch sein, dass nicht die anderen, die berühmten „Tomaten auf den Augen“ haben, sondern dass ich hier die berüchtigten „grünen Männchen“ sehe. Zu behaupten: „Ich kann einen Menschen sehen, der gestorben ist und ihr könnt das nicht“ ist – höflich formuliert – mehr als gewagt.
Genau diese Fähigkeit spricht uns aber der Text aus dem Johannesevangelium zu. Wir können Jesus erkennen! Es ist anders, als wie bisher einen Menschen oder Gegenstand zu erfassen. Die Voraussetzung ist, ihm, Jesus, zu glauben, dass er jetzt hier ist. Da wo wir sitzen, stehen oder liegen ist er da. So dürfen wir auch beten: „Du bist da!“ Das ist dann keine bloße Einbildung, sondern ein Vertrauen in seine verborgene Nähe.
Die „Auferstehung“, die wir in diesen Wochen feiern, hat vieles verändert. Ostern möchte unserem Sehen mehr Tiefenschärfe geben. Es geht um ein neues Sehen. Auch das eigene Leben, meine Geschichte und mein Scheitern darin darf ich neu bewerten. „Du, Jesus, bist da. Du warst da – und wirst da sein.“ Um weniger geht es nicht.
„Ich sehe was, was du nicht siehst … doch ich wünsche dir, dass du es findest.“ Mit dem verborgenen Jesus zu leben, ist beileibe kein Kinderspiel. Es bleibt ein lebenslanges Suchen. Aber Jesus mogelt nicht, sondern will sich von uns finden lassen. Schauen wir mal …
Michael Lier