Eine Tür zu mir, zu dir, zu Gott
Im Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und das Wort war Gott.
Dieses war im Anfang bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden
und ohne es wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war Leben und
das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet,
kam in die Welt.
Er war in der Welt
und die Welt ist durch ihn geworden,
aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum,
aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen,
gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,
allen, die an seinen Namen glauben,
die nicht aus dem Blut,
nicht aus dem Willen des Fleisches,
nicht aus dem Willen des Mannes,
sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit geschaut,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.Johannes 1, 1-5.9-14
Sowohl am 1. Weihnachtstag als auch an diesem Sonntag werden die ersten Verse des Johannesevangeliums gelesen. Ein wuchtiger, ein erhabener Text. Hat der dennoch etwas mit mir zu tun?
Ich lese aus dem Text drei Fragen an mich heraus. Die erste lautet: Wer bin ich? Bin ich ein Konstrukt meiner Gedanken, Ideen und Wünsche? Bin ich bereit, mich immer wieder neu zu erden? Ich bin nicht nur Wort, Gedanke oder eine Möglichkeit. Die Voraussetzung für ein gutes Menschsein ist, zu akzeptieren, dass ich „Fleisch“ bin. Ich bin ein Mensch mit Sehnsüchten und Bedürfnissen, aber auch in der Lage, Notwendiges und Unerlässliches anzupacken und zu bewerkstelligen. Zum Leben gehört, dass mein Dasein „Fleisch auf die Rippen“ bekommt.
Die zweite Frage lautet: Was ist das für ein Lebensgefühl, das hier beschrieben wird? Da kommt einer – und muss draußen bleiben. Da hat jemand anderes die Schlösser zur Wohnung des Daseins ausgetauscht. Du bleibst jetzt draußen! „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Das erinnert an den Kriegsheimkehrer Beckmann in Wolfgang Borcherts Drama: „Draußen vor der Tür“. Doch dieses Gefühl kenne ich irgendwie auch: Ich bin draußen während sich mein Leben drinnen abspielt. Ich fühle mich trotz festen Wohnsitzes und hübscher Unterkunft oft unbehaust und heimatlos. Meinem Gott ist diese Erfahrung keinesfalls fremd. Das verbindet uns.
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Die letzte Frage: Wer soll ich sein? Ein Sohn, eine Tochter Gottes kann ich werden. Das aber nicht nur einmal, sondern jeden Tag mehr. Er teilt das nicht nur mit mir, sondern überlässt mir die „Macht“ dazu. „Christ, erkenne deine Würde“ sagt Leo der Große. Dass ich bin, ist der Wille von etwas Größerem. Nicht meine Gene, meine Herkunft bestimmen mein Schicksal und meine Zukunft. Ich bin aus Gott geboren! Das ist gleichsam die Wurzel meines Stammbaums und meiner Geschichte.
Und wer ist der „Er“, von dem ich hier schreibe? Das Johannesevangelium nennt ihn Jesus. Er sei der Messias, der Christus, der Erlöser … Nun, das muss jeder und jede für sich selbst klären. „Im Anfang war das Wort“ – dieses Wort kann eine Tür sein: zu mir, zu dir, zu Gott …
Pastor Michael Lier