Der erste Jahrgang tritt ab

Drei-Religionen-Grundschule
Bild: Thomas Osterfeld

Die Drei-Religionen-Grundschule in Osnabrück in einzigartig. Nach vier Jahren haben die ersten Schüler die Schule wieder verlassen. Glücklich und zufrieden. Und mit großer Achtsamkeit gegenüber anderen Religionen.

Man kann es nicht anders sagen: Die ersten vier Jahre der Drei-Religionen-Grundschule in Osnabrück waren erfolgreiche Jahre. Schon rein quantitativ: Aus einer Schule mit einer Klasse, vier Lehrern und 22 Schülern ist mittlerweile eine Schule mit über 150 Kindern, zweizügig und mit mehr als 20 Lehrkräften geworden. Und mit vielen zufriedenen Eltern und Kindern: Das wiederum macht sie auch qualitativ so erfolgreich.

Die Erfolgsgeschichte dieser einzigartigen Schule in Trägerschaft der Schulstiftung des Bistums Osnabrück, in der christliche, jüdische und muslimische Kinder unter einem Dach lernen,  begann am 5. September 2012. Nach Jahren der Planung hatten 22 Kinder an der neuen Schule ihren ersten Schultag. Mit Schulranzen, Schultüte und vielen Erwartungen standen sie in ihrem neuen Klassenraum. Zusammen mit ihrer neuen Klassenlehrerin und gleichzeitigen Schulleiterin Birgit Jöring. „Ich wusste, dass eine spannende Zeit bevorsteht“, erzählt sie. Mit vielen Herausforderungen. Erst musste Jöring nur den Schulalltag einer Klasse organisieren, heute verwaltet sie eine ganze Schule.

Ziel des Projekts: Einen interreligiösen Lernort schaffen

Hände waschen in der Synagogen (Bild: Thomas Osterfeld)
In der Projektwoche lernen die Kinder: Hände waschen gehört zum Synagogenbesuch dazu. Bild: Thomas Osterfeld

Spricht Jöring über die vergangenen vier Jahre, spürt man ihre Leidenschaft für dieses Projekt. „Ich kann dieses Schulkonzept nur begeistert weiterempfehlen.“ Auch deshalb, weil es gut funktioniert. Das Konzept der Schule beruht auf zwei Säulen. Da ist zum einen der religionspädagogische Ansatz. Die Religion ist im Schulalltag integriert. Ob beim Mittagessen, wo die christlichen, jüdischen oder muslimischen Essensvorschriften eingehalten werden, bei den Projekttagen oder im jeweiligen Religionsunterricht.

 

Ziel des Ansatzes: einen interreligiösen Lernort zu schaffen, in dem Kinder lernen, über ihre eigene Religion zu sprechen. Regelmäßig passiert das beispielsweise am Ende einer Projektwoche, wenn die Kinder vor der Schülerschaft und deren Eltern Geschichten aus ihrer Religion erzählen. Auch die kleine Anne hatte hier mal ihren großen Auftritt. Als sie vor zweihundert Leuten stand und – selbstbewusst und mit Begeisterung – die Geschichte von Daniel in der Löwengrube erzählte, da hatte ihre Mutter, Stefanie Lünnemann, ein paar Tränen in den Augen. „Das hat mich wirklich berührt“, erzählt sie.

„Jetzt fehlt mir noch ein muslimisches Kind zum Spielen“

Das Besondere ist, dass sich der Austausch über die Religionen bei den Kindern nicht auf die festen Rituale des Schulalltags beschränkt, sondern sich weiter frei entwickelt. Einmal entspann sich in der Klasse zwischen den Kindern ein Gespräch über die unterschiedlichen Bestattungsrituale, nachdem ein muslimisches Kind von einer Bestattung erzählte. Anne sagte auch mal zu ihrer Mutter: „Jetzt fehlt mir noch ein muslimisches Kind zum Spielen.“

Die andere Säule ist der schulpädagogische Ansatz der Schule, der in den vergangenen Jahren immer weiter ausgearbeitet wurde. Er ist individualisiert und ermöglicht ein intensives Eingehen auf die Bedürfnisse der Kinder. Sehr oft sind die Lehrer zu zweit in der Klasse. „Das ist einfach wunderbar, wenn man in Deutsch oder Mathe zu zweit unterrichten kann“, schwärmt Jöring. Im Stundenplan gibt es feste Hausaufgabenstunden, in denen die Lehrer zusammen mit den Kindern die Hausaufgaben machen oder noch Themen vertiefen.

Mittagessen in der Drei-Religionen-Grundschule (Bild: Thomas Osterfeld)
Beim gemeinsamen Mittagessen werden die Speisevorschriften der verschiedenen Religionen berücksichtigt. Bild: Thomas Osterfeld

Bewährt haben sich auch die Lesezeiten, wenn Eltern und Ehrenamtliche in die Schule kommen und mit den Kindern lesen. „Ich sehe jeden Tag als Schulleiterin, wie gut unser Konzept den Kindern tut“, sagt Jöring. Stefanie Lünnemann kann das unterschreiben. Ihre Tochter kam erst in der zweiten Klasse an die Schule. Mit einer Rechenschwäche hatte sie es nicht leicht an ihrer vorherigen Schule. „Sie ist in den drei Jahren an der Schule viel selbstbewusster geworden, traut sich mehr zu und hat Freude am Lernen“, erzählt die Mutter mit Begeisterung. Und mit viel Wehmut, dass die Grundschulzeit für ihre Tochter jetzt vorbeigeht. „Du fängst aber nicht an zu heulen“, hat Anne deshalb zu ihrer Mutter gesagt, als die Abschlussveranstaltung bevorstand.

Toleranz, Respekt und Achtsamkeit

„Ich habe die Schulzeit sehr genossen“, sagt auch Rua Khwairah, deren Tochter Zena jetzt die Schule verlässt. „Frau Jöring und die anderen Lehrer hatten immer ein offenes Ohr, wenn man mit einem Anliegen kam oder es ein Problem gab“, betont sie. „Und man hatte nie das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.“ Von Anfang an war die Muslima im Schulbeirat und konnte so mit anderen Eltern den Schulalltag der Kinder in seiner Multireligiösität mitgestalten. „Wo gibt es das?“, fragt Khwairah.

„Und dabei habe ich auch selbst sehr viel über die anderen Religionen gelernt“, erzählt sie. Da wird es ihr ähnlich gehen wie vielen anderen Vätern und Müttern. Die Frau aus Palästina spürte immer wieder, wie gut diese Schule ist. „Einmal kam Zena nach Hause und erzählte, wie sie ein jüdisches Kind verteidigt hat, weil es nicht mitspielen durfte. Da hat sie sich sofort als Anwalt gefühlt“, erzählt die Mutter. „Ich denke, die Kinder haben an der Schule neben Toleranz und Respekt auch eine große Achtsamkeit gegenüber anderen Religionen mitbekommen.“