Gärtnern heißt: Geduld haben
Zu jener Zeit kamen einige Leute und berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfertiere vermischt hatte. Und er antwortete ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms am Schilóach erschlagen wurden – meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen!
Lukas 13,1-9
Der Krieg in der Ukraine wirft bei vielen die Frage auf: „Wieso lässt Gott das zu?“ Diese Frage ist nicht neu. Menschen fragen nach, warum etwas geschieht. Das Wechselspiel von Ursache und Wirkung könnte eine Antwort geben. Hat meine Lebensführung vielleicht etwas mit meinem Schicksal zu tun? Der Zusammenhang von eigenem Tun und dem daraus folgenden Ergehen ist in vielen Religionen, auch im Judentum, der Versuch einer Antwort. Dahinter steht deutlich das Bild eines ahnenden und strafenden Gottes.
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Jesus weist diese Sichtweise aber eindeutig zurück. Stattdessen stellt er eine Gegenfrage, wie denn seine Zuhörer ihr eigenes Leben deuten wollen. Die Geschichte, die er über den Feigenbaum und dessen Gärtner erzählt, hakt nach: Wollt ihr selber denn abhängig sein von eurer moralischen Lebensleistung oder einem unerbittlich richtenden Schicksal? Oder soll euer Leben gegründet sein auf eine tragende Hoffnung und sichere Zuversicht?
Das Gleichnis vom Feigenbaum ist eine Erzählung über die Geduld – und die Ungeduld. Ein Feigenbaum trägt erst nach fünf bis acht Jahren seine volle Frucht. Der Besitzer des Weinbergs scheint diese Tatsache vergessen zu haben. Wenn der Feigenbaum ein Bild für mein Leben ist, dann muss ich mich fragen, wieviel Geduld ich mit mir selber habe. Meine Ideale und Träume lassen sich – wenn überhaupt – nicht nach Stundenplan erreichen. Wieviel Toleranz bringe ich mir selber gegenüber auf? Muss ich vor mir selber perfekt dastehen? Kann ich Brüche, Fehler und Scheitern auf meinem Lebensweg akzeptieren?
Hier kommt der Gärtner ist Spiel. Er ist es, der mich mit Zuversicht, Mut und Vertrauen „düngt“. Wer kann ein solcher Gärtner für mich sein? Zuerst ist es Jesus mit seiner Botschaft von einem Gott, der mich vorbehaltlos liebt. Dann auch Menschen, die mir zeigen, dass es sich lohnt, den eigenen Weg ins Leben zu suchen und zu gehen und die bisherigen Etappenziele so anzunehmen wie sie sind, auch wenn sie nicht unbedingt meinen eigenen Vorstellungen entsprechen.
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Geduld ist kein unbestimmtes Gefühl – verbunden mit einem leidenden Gesichtsausdruck. Geduld bedeutet Ausdauer, Zähigkeit und Zuversicht. Der Gärtner zeigt diese Eigenschaften und wendet sich so dem Feigenbaum zu. Genauso steht es zwischen Gott und mir, so erzählt hier Jesus. Ausdauernd und zäh will seine Liebe mich lehren, mich, mein Leben, meine Geschichte und auch meine Mitmenschen anzunehmen. Gott denkt zuversichtlich gut von mir. So kann ich mich in meinem Dasein verwurzeln und Frucht bringen, die wiederum andere satt macht.
Gott straft nicht, sagt Jesus. Menschen strafen – sich und andere. Menschen sind es, die Kriege beginnen. Damit das aufhört braucht Gott tatsächlich noch viel an Ausdauer, Zähigkeit und Zuversicht mit der Menschheit.
Pastor Michael Lier