Gewaltfreie Kommunikation – ein Weg zum Frieden

Frage und Antwort
Bild: AdobeStock.com, fidaolga

Gottfried Orth praktiziert seit 15 Jahren Gewaltfreie Kommunikation. Diese Art sich zu verständigen ist für den früheren Professor für Religionspädagogik an der TU in Braunschweig ein Schlüssel zum friedvolleren Zusammenleben – sei es im Alltag, sei es in der großen Politik.

Denn im Vordergrund dieses Kommunikationskonzeptes steht nicht, andere Menschen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen, sondern eine wertschätzende Beziehung zu entwickeln, die mehr Kooperation und gemeinsame Kreativität im Zusammenleben ermöglicht. Wie Gottfried Orth dies im Alltag gelingt und wo er sich mehr Gewaltfreie Kommunikation wünschen würde, erzählt er hier im Interview und bei einer Veranstaltung des Ökumenischen Kirchentages in Osnabrück (OEKT) am 17. Juni, von 11.00 bis 12.00 Uhr, in der Kirche St. Marien.

Wie sind Sie persönlich zur gewaltfreien Kommunikation gekommen?

Vor 15 Jahren rief mich eine Kollegin an und meinte: „Gottfried, du musst unbedingt Gewaltfreie Kommunikation kennenlernen; ich habe das ganze Wochenende einige CD’s angeschaut mit Marshall Rosenberg und bin begeistert.“ Ich las dann sehr viel dazu und begann zu üben – und ich war mir sicher: Jetzt habe ich eine Sprache gefunden für das, was mir in meinem christlichen Glauben und was mir theologisch wichtig ist.

Wo konkret verwenden Sie gewaltfreie Kommunikation im Alltag?

Ich versuche Gewaltfreie Kommunikation genauso in meinen beruflichen Zusammenhängen wie im familiären Kontext oder in den Predigtgottesdiensten, die ich halte, anzuwenden. Und ich merke, dass ich lebendiger bin, wenn ich meine Bedürfnisse und meine Gefühle und nicht Ratschläge, Urteile oder Diagnosen zur Sprache bringe.

Der Ökumenische Kirchentag in Osnabrück

Vom 16. bis 18. Juni findet in Osnabrück der Ökumenische Kirchentag unter dem Motto „Wege des Friedens“ statt. Etwa 100 Veranstaltungen sind geplant: Podiumsdiskussionen, Gottesdienste, Konzerte, Lesungen, Kabarett und mehr. Weitere Infos: www.oekt-os-2023.de

Ein kleines Beispiel aus der Familie: Unsere Kinder wohnen verstreut in Europa. Manchmal schreiben Sie Mails. Früher habe ich geantwortet und sie mit irgendeinem Rat oder auch nur einem „klugen Kommentar“ versehen. Vor einigen Jahren fragte ich sie, ob Sie eigentlich meine Kommentare oder Ratschläge schätzen. Die Antwort war klar: Nein, wir wollen lediglich, dass du an unserem Leben teilhast, und wenn wir Rat brauchen, sagen wir das schon. Seitdem schreiben wir uns lieber. Dabei bin ich auch heute noch ein Lernender und ertappe mich bei Rückfällen in die gewaltvolle Sprache, die wir ganz selbstverständlich fast alle in unserer Kultur gelernt haben.

Kann jeder Menschen gewaltfreie Kommunikation lernen?

Ja, doch es gibt auch Naturtalente, die es gar nicht nötig haben. Und es gibt Menschen in besonderen Situationen, die sehr gewaltfrei kommunizieren. Dies erlebe ich immer wieder bei Fortbildungen im Kontext der Hospizarbeit. Wenn es in Hospizen zwischen den Gästen und den Mitarbeitenden um das Sterben- und Lebenlernen geht, dann sind auf einmal Empathie und eine lebendige Sprache der Bedürfnisse und Gefühle sehr selbstverständlich.

Kann man sich mit gewaltfreier Kommunikation streiten?

Ja, wunderbar, denn ich streite dann mit jemanden darum, worum es wirklich geht, und die „Nebenkriegsschauplätze“ sind wie ausgeschaltet. Auch hier ein Beispiel: Auf dem Schulhof kommt ein Schüler auf mich zu, boxt mich leicht an der Schulter und sagt dabei: „Hey Alter!“ Jetzt kann ich reagieren, wie ich es gelernt habe: Ich kann mich laut über die Respektlosigkeit des Schülers äußern und diese verurteilen oder ich kann ihn bestrafen. Doch es gibt eine Alternative: „Kann es sein, dass du Kontakt suchst und mit mir sprechen möchtest?“ Und der Schüler richtet sich auf und seine Augen beginnen zu sprechen: „Ja genau“ – „Magst du mir sagen, was dir so wichtig ist?“ – „Ja …“ Und nach einer Weile können wir miteinander darüber reden, wie Kontaktaufnahme anders funktionieren kann als über „Hey Alter!“ Connection before correction – ein wichtiger Satz für Beziehungen und für dazugehörenden Streit.

In welchen Bereichen würden Sie sich mehr Gewaltfreie Kommunikation wünschen?

Da fällt mir die Antwort ganz einfach: In allen Bereichen unseres Lebens und vor allem in unseren Kirchen, denn die Botschaft unseres Glaubens ist für mich eine große Einladung an alle Menschen. Sie ist eine Botschaft, die auf Weisheiten beruht, die mir besonders am Herzen liegen: Ihr seid alle Kinder Gottes und wertgeschätzt und geachtet. Ihr seid eingeladen, eure Nächsten zu lieben wie euch selbst. Ihr braucht nicht zu richten und euch über andere zu stellen – und vieles mehr. Und: Die Bibel mit GFK-Augen zu lesen, habe ich als Entdeckungsreise in befreites und befreiendes Land gelesen.

Ist gewaltfreie Kommunikation ein „Weg zum Frieden“?

Ja, denn es gibt erstens eine ganze Reihe empirischer Studien, die zeigen, dass gewaltfreie Sprache hoch korreliert mit der Gewalt innerhalb einer Gesellschaft. Und zweitens zeigt mir die Sprache im Kontext des Krieges in der Ukraine, wie Waffen zur Verfügung stellende Länder außerhalb der Ukraine diesen Krieg ebenso befeuert haben und befeuern wie russische und ukrainische Politiker. Deeskalation sieht anders aus – und Gewaltfeie Kommunikation ist immer deeskalierend.