Grenzerfahrungen im Alltag
Ich sitze im Zug zwischen Hamburg und Bremen. Es kommt die Durchsage: In Bremen fährt der Zug nicht weiter. Die Arbeitszeit des Lokomotivführers ist überschritten. Der angeforderte Ersatz steht nicht zur Verfügung. So etwas habe ich bisher nicht erlebt. Es geht nicht mehr weiter mit diesem Zug. Ich persönlich habe noch Glück. Mit der Regionalbahn kann ich nach Osnabrück fahren – wir werden nicht nur bei der Bahn mit Grenzen konfrontiert.
Mein Golf ist schon einige Jahre alt. Rote Signale mahnen mich: Der Wagen muss in die Werkstatt. Dort herrscht Hochbetrieb. Sie können mein Auto erst in vier Woche reparieren. Diese Wartezeit habe ich nicht erwartet. Es fehlen einfach die nötigen Kfz-Mechaniker. Für mich eine neue Situation.
Ich möchte mit einer Bekannten essen gehen. Ich rufe im Lokal an, um einen Tisch zu reservieren. Die Antwort: Sonntags und montags haben wir geschlossen, um als Arbeitgeber attraktiver zu sein. Nur so gewinnen wir neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für unseren Betrieb.
Über den Autor
Theo Paul ist Domkapitular und unter anderem für die Krankenhäuser, Klöster und geistlichen Orte im Bistum Osnabrück zuständig. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.
Ich telefoniere mit einem alten Studienkollegen. Er erzählt mir von der Erkrankung seiner Frau. Sie muss fünf Wochen warten, um die notwendige Behandlung beginnen zu können.
Wir werden in allen Bereichen mit Grenzen konfrontiert. Auch den Grenzen des Wachstums. Jahrelang wurde darüber diskutiert. Mittlerweile machen wir Grenzerfahrungen im alltäglichen Leben. Es fehlen Arbeitskräfte und Rohstoffe, wir sind begrenzt durch die Klimaentwicklung, durch die kriegerischen Auseinandersetzungen, durch extremistische Bewegungen. Die Belastungen sind ungleich verteilt, lokal und global. Auf jeden Fall führen sie zu neuen Spaltungen und Verwerfungen.
Ich denke an Worte des kürzlich verstorbenen Politikers Wolfgang Schäuble. In einem seiner letzten Bücher mit dem Titel „Grenzerfahrungen – Wie wir an Krisen wachsen“ schreibt er:
„Jeder muss für sich beantworten, zu welchen Einschnitten in seinem Lebenswandel er persönlich bereit ist. Eine bloße Forderung nach Verzicht bietet jedenfalls keine dem Menschen gemäße politische Antwort. Vielmehr brauchen wir innovative Lösungen, die mit weniger Verbrauch endlicher Ressourcen und unter Einhalten sozialer Mindeststandards bei der Produktion die menschlichen Bedürfnisse nach Wohlstand befriedigen. Mit anderen Worten: Es muss nicht unbedingt um weniger gehen, sondern darum, es anders als bisher zu machen.“