„Ich bin gespannt darauf, wie es nach dem Tod weitergeht“
Tod und Auferstehung – darum geht es an den Kar- und Ostertagen. Als Pfarrei- und Jugendseelsorger spricht Pastor Maik Stenzel oft über Fragen zu diesen Themen. Und er hat sie sich nach dem Tod enger Angehöriger selbst gestellt. Im Interview mit ihm geht es um Vorstellungen von der Auferstehung, um die Freiheit, die Gott uns lässt und darum, wie man die Hoffnung auf das Ewige Leben mit in den Alltag nehmen kann.
Maik Stenzel, wie stellen Sie sich Ihre Auferstehung vor?
Die Erfahrung der Auferstehung ist etwas sehr Persönliches. Im Moment, in dem ich sterbe, trete ich vor Gott, geschieht also Auferstehung. Diese Begegnung mit Gott wird ganz überraschend, ganz anders sein, als ich es mir vorstellen kann. Meine Vorstellung der Auferstehung ist auch: Alle menschlichen Grenzen fallen. Alles, was uns beeinträchtigt, was uns einengt, fällt weg. Wir bekommen im Grunde eine Sicht Gottes geschenkt, wir können alles überblicken, werden alles verstehen und werden allen Menschen nahe sein. Ich glaube, das wird eine unglaublich faszinierende Gemeinschaft werden. Und es wird schön, weil wir diesen Menschen begegnen, die uns begleitet haben, unseren Eltern, Großeltern, allen Menschen, die uns wichtig waren und sind. Bis hin zu Menschen, die wir noch gar nicht kannten, weil sie nach uns geboren wurden.
Also keine Zombie-Apokalypse? Immerhin spricht die Bibel öfters davon, dass die Toten aus den Gräbern wiederauferstehen.
Die Bibel stellt das Ende der Welt besonders plastisch dar. Das Alte Testament hat eine Stelle, wo sich die Knochen aus den Gräbern wieder zusammenfinden und Jesus hält im Neuen Testament apokalyptische Reden. Diese Darstellungen wirken sehr gruselig und ich glaube nicht, dass sie so passieren. Die Erde wird so vergehen, wie sie entstanden ist, nicht auf einen Schlag, sondern nach und nach. Die Auferstehung wird nicht in dieser Welt passieren, sondern bei Gott, der Transzendenz. Wenn die Welt vergangen ist, wird sich das, was bleibt, in der Ewigkeit wiederfinden: das Essenziele unseres Lebens, die Seele und das, was unseren Körper ausgemacht hat. Seele und Leib sind ja eine Einheit. Das wird nicht mehr aus Materie sein, deswegen glaube ich, dass die Auferstehung des Leibes viel geistlicher passieren wird, als wir uns das heute vorstellen können.
Aber letztlich wissen wir nicht, was nach der Schwelle des Todes kommt – schließlich gibt es auch die Vorstellungen vom Fegefeuer oder der Hölle. Warum soll ich mich auf die Auferstehung nach dem Tod freuen, wenn ich gar nicht weiß, was mich erwartet?
Das ist die große Herausforderung. Das Problem ist tatsächlich, dass es so großartig sein wird, dass wir es nicht beschreiben können, davon bin ich überzeugt. Alles, was wir beschreiben können, sind eben nur Bilder und das sind selbst nur Bruchstücke. Großartig wird die Erfahrung, wie Gott wirklich ist. Tatsächlich glaube ich, dass Gottes großartige Liebe uns so angreifen würde, dass wir sie vor dem Tod noch nicht leben können. Aber dann werden wir sie leben können. Ich bin da wirklich gespannt darauf, wie es sein wird. Und gleichzeitig wird die Erfahrung dieser großartigen Liebe weh tun, weil ich merke, ich habe nicht ansatzweise so geliebt, wie Gott uns Menschen liebt.
Trotzdem: Nichts Genaues weiß man nicht. Ist es denn redlich darüber zu sprechen, was uns nach dem Tod erwartet?
Das sagt ja die negative Theologie: Wir sollen über Gott und das Ewige keine Aussagen machen, weil wir es nicht erfassen können. Aber da würde ich es eher mit dem berühmten Theologen Karl Rahner halten, der gesagt hat: Alle Reden über Gott und das Ewige werden Bilder sein. Und solange wir uns bewusst sind, dass es nur Bilder sind, dürfen wir sie auch benutzen. Uns ist als Menschen von Gott die Fantasie gegeben worden, uns Bilder machen zu können und das ist, was Rahner meinte: Das dürfen wir auch tun, weil es uns hilft, es einordnen zu können.
Warum macht Gott den Menschen mit der Aussicht auf Auferstehung Hoffnung – und lässt uns trotzdem so im Ungefähren?
Wahrscheinlich ist es die Freiheit, die Gott uns lassen will, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Zu sagen, wenn er jetzt komplett alles offenlegen würde, alles wäre einsehbar, erlebbar, dann wäre es ja keine wirklich freie Entscheidung mehr. Dann hätten wir ja keine andere Wahl, als zu sagen: Ja, er ist das Allumfassende, er ist das Sein, alles, was da ist, ist durch ihn und er hat es erschaffen, seine Handschrift ist in allem zu finden. Ich glaube, dass diese Freiheit aus seiner Liebe heraus geschieht, dass er uns zu nichts zwingen will. Und das setzt voraus, dass wir nicht gezwungen sind, ihm zu folgen, dass wir selbst unseren Weg gehen, ihn auch entdecken müssen im Leben.
Können wir dieser Liebe überhaupt entfliehen? Haben wir denn wirklich eine Wahl? Sagt Gott nicht: „Also, wenn Du Dich für mich entscheidest, ist alles gut. Wenn nicht, stehst Du vorm Nichts“?
Ich glaube, dass da der Punkt ist, warum es eine Hölle geben muss. Nicht so, wie sie immer dargestellt wird: wo die Teufel sind, mit der Forke in der Hand und alles brennt und die Menschen landen in irgendeiner Suppe. Das ist natürlich Quatsch. Wenn Gott uns die Freiheit lässt, sich für oder gegen ihn zu entscheiden, muss es einen Ort geben, wo es Gott nicht gibt, wo er nicht da ist. Und wenn ein Mensch sagt: Ich will mit Gott nichts zu tun haben, wird Gott diese Freiheit auch lassen. Gott lässt uns schweren Herzens ziehen. Es gibt auch diesen wunderbaren Satz: Es gibt eine Hölle, aber sie ist leer. Aber wenn es diesen Ort des Nicht-Gott-Habens nicht gäbe, wäre es zynisch, weil dann würde uns Gott am Ende doch zu ihm zwingen.
Manche Menschen sind aber auch am Ende Ihres Lebens lebenssatt. Kann man dann nicht auch sagen: Es kommt jetzt nichts mehr – und das ist auch gut so?
Mich beeindruckt das, wenn Menschen am Ende ihres Lebens sagen können: Das war jetzt gut. Wenn sie loslassen und gehen können. Das hat mich immer fasziniert und ich hoffe, dass ich das eines Tages auch kann – und ich wünsche es allen Menschen, das zu können. Aber die Frage ist, wenn ich mir die Auferstehung, das Leben bei Gott, so vorstelle, wie das Leben hier auf der Welt, dann kann ich auch verstehen, dass jemand nicht in den Himmel und zu Gott will. Aber ist das nicht zu kurz gegriffen, kann man da nicht sagen: Da hast Du ein falsches Bild von der Ewigkeit, von der Auferstehung? Aber wenn jemand trotzdem sagt, ich will es nicht, ich brauch das nicht, ist das auch die Freiheit, die ein Mensch haben wird. Und dann wird das keine Höllenerfahrung im Sinne von Schmerzen, sondern dann ist da einfach ewige Stille. Ich glaube nicht, dass diese Menschen von Gott bestraft werden. Das würde mich wundern, wenn Gott so drauf wäre.
Wie kann man die Hoffnung auf die Auferstehung jetzt in sein eigenes Leben, in den Alltag mitnehmen?
Das ist sicher individuell. Ich kann für mich sagen, dass ich zu den Verstorbenen, die mir im Leben wichtig waren, immer noch Kontakt spüre. Wenn ich zum Friedhof gehe, zum Grab meiner Eltern und Großeltern. Oder wenn ich einfach im Alltag an sie denke: Ich habe die Wohnung meiner Oma ganz stark in Erinnerung, da duftete es immer nach Essen. Es gab immer etwas Leckeres. Und wenn ich dann einen guten Essensduft wahrnehme, denke ich: Ja, so wie bei Oma. Und dann fühle ich eine innere Verbindung. Und ich spreche mit meinen Eltern und Großeltern und ich bete für sie und hoffe, dass sie für mich beten. Ich merke, dass das mir im Alltag diese Brücke in die Auferstehung und den Himmel baut. Ich kann das nicht beweisen, aber ich kann sagen: Ich spüre im Alltag eine Verbindung, die mir Mut macht. Oder im Gottesdienst: Wir haben dort Bilder, die uns helfen sollen, eine unsichtbare Welt wahrzunehmen. Wenn das eine schöne Liturgie ist, mit Weihrauch – ich liebe ja Weihrauch – hilft mir das, Kontakt zu Gott aufzunehmen. Oder im Auto: Ich bin da allein und kann mit Gott sprechen und das hilft mir, eine Brücke in die Ewigkeit zu bauen. Da spüre ich eine Resonanz, es geht nicht ins Leere. Das ist mein kleiner Blick in die Ewigkeit.
Der Kirche wird ja vorgeworfen, sie trübe mit ihrer Vorstellung vom Leben nach dem Tod den Blick auf das Leben hier und heute. Stichwort: Opium fürs Volk
Das sollte der Glaube nicht sein. Aber natürlich können Glaube und Liturgie zur Droge werden, kann ich mich auch mit Gott betäuben. Wenn die Menschen ihre Umwelt dann nicht mehr wahrnehmen, es nur noch wichtig ist, wie diese Liturgie gefeiert werden muss und wie das so und so in der Kirche zu laufen hat und wie man sich in der Kirche zu benehmen hat. Einer der größten Fehler im kirchlichen Leben ist das Denken von der Welt auf der einen und wir auf der anderen Seite. Und die Welt ist natürlich böse und wir sind gut. Das ist auch eine Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die nicht in der Kirche sind und eine Respektlosigkeit gegenüber deren Leben mit Gott, dass ich überhaupt nicht zu bewerten habe. Ich kann Glauben zum Guten nutzen, indem ich Liturgie und Gottesdienst als Kraftquelle im Alltag sehe, als Brücke in den Himmel. Aber ich kann auch sagen: Das ist jetzt das einzig Wahre und wer es nicht mitmacht, der kommt in die Hölle.
Der Tod als Tabuthema – merken Sie das auch in Ihrer Arbeit früher als Gemeindepfarrer und jetzt als Jugendseelsorger?
Ich habe ganz oft gemerkt, es gibt Menschen, die haben Probleme damit, über den Tod zu sprechen. Die sagen das dann Gottseidank oftmals auch. Ich merke aber, dass diese Tabuisierung bei Erwachsenen stärker ist als bei Jugendlichen. Für Kinder- und Jugendliche ist der Tod erstmal eine Ausnahmesituation, wobei wir uns nicht täuschen dürfen, dass Jugendliche auch schon Schicksalsschläge erfahren mussten, wenn nahe Angehörige gestorben sind. Aber bei Kindern und Jugendlichen ist der Umgang mit dem Tod viel ungezwungener als bei Erwachsenen. Kleines Beispiel: Wir hatten in Oesede und Bad Laer einen Tag zum Thema Beerdigungen für die Messdiener gemacht. Da war unter anderem ein Besuch beim Bestatter im Programm. Wir haben die Kinder im Vorfeld vorbereitet und ihnen gesagt: Ihr werdet keinen Verstorbenen sehen. Der Bestatter hatte dort einen Sarg aufgebaut mit allem, was hineingegeben wird, wie Kissen, Decken, Füllmaterial. Der Sarg war geschlossen und der Bestatter sagte: Wollen wir ihn aufmachen? Die Kinder und Jugendliche gingen völlig problemlos ran: Die öffneten den Deckel, fassten an, was da drin ist. Und ich als Erwachsener dachte nur: „Um Gotteswillen, ich möchte das nicht“. Kinder gehen da freier mit um. Diese Unbefangenheit mit dem Thema täte uns als Erwachsenen gut, um uns mehr von den Ängsten freizumachen und zu sagen: Der Tod ist Teil des Lebens.
Was wäre die Botschaft, die jede*r aus der Osterfeier mitnehmen sollte?
Wenn am Ende der Ostermesse jede und jeder sagen kann: Wir haben das Leben gefeiert. Wir haben auch das Leben im Tod entdeckt, auch das feiern wir. Eine bessere Botschaft könnten wir gar nicht weitergeben. Weil die so viel Hoffnung gibt. Weil die uns eine Perspektive gibt und wir sagen können: Da hört unser Blick nicht auf, da geht es weiter. Ich denke an den wunderschönen Satz von Robert Browning: „Doch schauen sollt ich weiter, als ich greife: Wozu ein Himmel sonst?“ Wir können in unserer Welt so viel begreifen und zählen, aber nicht das, was nach dem Tod kommt. Aber wir können den Blick darauf richten. Und das, was wir da erfahren, dass es eine unendliche Liebe ist, dass uns Gott nicht vergisst, dass wir im Tod nicht in ein Loch fallen oder in ein Nichts, sondern dass wir von ihm getragen sind, das lohnt sich zu feiern. Und dass ich Menschen, die mir lieb sind, im Leben nach dem Tod wiedersehen werde, das ist die Feier wert. Manche Gemeinden gehen ja nach der Ostermesse noch zum Friedhof. Und bringen diese hoffnungsfrohe Botschaft an diesen scheinbar hoffnungslosen Ort. Das ist ein schönes Zeichen.