Kehrt um!
In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!
Matthäusevangelium 3, 1-3 (Einheitsübersetzung)
Ein hagerer junger Mann mit schwarzem Bart und eingefallenen Wangen hockt in Syrien in Aleppo auf einem Steinhaufen. Von dem Haus ist nach einem Luftangriff nur Geröll und grauer Staub geblieben. Mit leerem Blick schaut er nach vorn. Wer seinem Blick folgt, erkennt mit einem Mal das Unfassbare: Aus dem Geröll ragt der kleine Fuß eines Kindes senkrecht hervor.
Es gibt Bilder, die verliert man nie wieder aus dem Kopf. Sie nehmen einem die Luft zum Atmen wie eine graue Staubwolke. Man möchte schreien: Kehrt um! – Darf man diese Bilder zeigen? Die Bilder des vom Napalm verbrannten Mädchens im Vietnamkrieg? Den ertrunkenen kleinen Flüchtlingsjungen, wie Strandgut angespült an die Küste des gelobten europäischen Kontinents? „Kein gedrucktes Bild kann einen Menschen so entmenschlichen, wie der Krieg es tut. Also schaut hin! Der Schock ist eine Waffe des Humanismus. Auch wenn ein Bild einen Krieg nicht beenden kann.“ Das schreibt Malin Schulz in der ZEIT.
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In den Texten zum 2. Advent entwirft der Prophet Jesaja eine kühne Utopie. Aus der Dunkelheit und den Wüsten von Krieg und Not wird ein neuer König hervorgehen, auf dem der Geist Gottes ruht: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. „Er richtet die Hilflosen gerecht, und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.“ Das Bild eines paradiesischen Friedens schließt sich an: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, (…) Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten(…) Das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr (…).“
Es gibt Bilder, die die Sehnsucht vieler Menschen nach Gerechtigkeit und Liebe, nach Frieden und Einklang mit der Schöpfung in den Herzen verankern. Sie lassen uns atmen und leben – trotz alledem. Sie schenken Hoffnung und neue Kraft. Also schaut hin. Auch die Sehnsucht ist eine Waffe des Humanismus. „Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“ Das ruft Johannes in die Wüsten unserer Zeit.
Diakon Gerrit Schulte