Mein Leben in der Pandemie
„Es fällt doch wegen Corona so viel aus, jetzt wirst du doch endlich mal Zeit für dich finden.“ So höre ich oft Leute sagen, die sich nach meinem Befinden erkundigen. Tatsächlich, sehr viele Termine fallen aus, und die Kilometer an Autofahrten sind gering geworden. Dennoch stellt sich – wie wohl bei den meisten Menschen – keine Muße ein und erst recht keine Ruhe. Vieles wird durch anstrengende Videokonferenzen ersetzt, und die gewonnenen Fahrzeiten durch eine Menge von analogen und digitalen Einzel- und Gruppenbegegnungen und -gesprächen. Ganz zu schweigen von den endlosen Telefonaten.
Auch ist die Bereitschaft, mir schnell entschieden Mails zu schicken über eigene Meinungen, Einschätzungen und Befindlichkeiten zu Kirche und Welt, ist in Corona-Zeiten bei vielen stark gewachsen. So erreichen mich zuweilen höchst undifferenzierte und pauschale Urteile über alle möglichen Sachverhalte der Kirche, auf die nur schwer differenziert zu antworten ist.
Der Terminkalender wird also dichter und der Schreibtisch voller. Manche längere Fahrt zu echten Begegnungen, Diskussionen in großer Runde, vielen Seitengesprächen und abendlichen informellen Treffen waren da angenehmer, weil sie einem natürlichen Rhythmus von Anspannung und Entspannung folgten.
Über den Autor
Franz-Josef Bode ist unser Bischof und Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz. Seit 2010, damals als erster deutscher Bischof, schreibt Bode in unserem Bistumsblog über Begegnungen und Gedanken aus seinem bischöflichen Alltag.
Freilich sind jetzt manche Abende erheblich ruhiger und erst recht die Nächte in der Stadt. Und mir wächst auch mancher terminfreie Sonntag zu, an dem ich sonst unterwegs gewesen wäre. Den brauche ich aber auch nach den so verdichteten Tagen und Wochen zum Luftholen und zur Nacharbeit der Gespräche und Videokonferenzen. Dazu kommt die Sorge um die künftige Gestalt der Kirche, die Sorge um die Pastoral und die Glaubenskommunikation, um die vielen, die sich von der Kirche abwenden. Auch die Unsicherheit, wie die nächsten Schritte zu gehen sind auch angesichts des Rückgangs der finanziellen Möglichkeiten, ist allgegenwärtig.
Das klingt jetzt für manchen vielleicht etwas nörglerisch. Das soll es aber nicht. Es ist eine Zustandsbeschreibung. Und ich weiß, dass sehr viele andere ein eigenes und nicht weniger herausforderndes Lied singen können über das Leben in der Pandemie. Was mir dabei hilft, ist ein fester Rhythmus des Gebetes, der Gottesdienste und der Mahlzeiten und der wache Blick auf die vielen kreativen Ideen und Lösungen, die in unseren Gemeinden und Einrichtungen gefunden werden. So finde ich in der Verdichtung der Termine doch neuen Raum zum Atemholen in der unverschämten Hoffnung, dass Gott uns auch in diesen Zeiten nicht allein lässt. Diese Hoffnung will ich leben.