Ruhe in Frieden
„Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn ruht auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Und er hat sein Wohlgefallen an der Furcht des Herrn. Er richtet nicht nach dem Augenschein und nach dem Hörensagen entscheidet er nicht, sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften und die Treue der Gürtel um seine Lenden. Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus. Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie die Wasser das Meer bedecken. An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Feldzeichen für die Völker; die Nationen werden nach ihm fragen und seine Ruhe wird herrlich sein.“
Jesaja 11,1-10
„Ruhe in Frieden“ (englisch: R.I.P. = Rest In Peace) ist für uns normalerweise ein Gruß an Verstorbene. Für mich ist es die Überschrift über den Lesungstext des 2. Adventssonntages aus dem Buch Jesaja. Er beschreibt in herrlichen Bildern eine universelle Friedens- und Heilsvision, gesprochen in eine von Gewalt, Hass und Krieg geprägten Welt, unserer gar nicht so unähnlich, oder?
Der verheißene Friedensfürst wird sich ganz und gar von Gottes Geist und seinen Gaben – Weisheit, Einsicht, Erkenntnis, Rat, Stärke … – leiten lassen und die Welt in einer Weise regieren, dass den Schwachen und den Kleinen das zukommt, was sie zum Leben brauchen. Und das wird Schule machen: Die Völker werden sich an dieser Leitfigur ausrichten, die Starken sich an den Schwachen orientieren (Wolf und Panther kommen zum Lamm bzw. Böcklein, …). Das gegenseitige sich Bekriegen und dem Anderen nichts gönnen Können wird folglich ein Ende haben und „seine Ruhe wird herrlich sein“.
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Wäre das nicht mal ein Modell auch für uns? Die politischen Machthaber schneiden im Vergleich mit dem, der im Jesaja-Buch angekündigt wird, eher schlecht ab. Aber halt, auch wenn der Eine nicht in Sicht zu sein scheint, so können wir doch junge Triebe hin zur Verheißung entdecken: Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg zum Beispiel hat mit „Fridays for Future“ Millionen Jugendliche mobilisiert und wird mittlerweile von führenden Politiker*innen angehört. Jetzt wird sie mit dem „Right Livelihood-Award“ (den alternativen Nobelpreis) geehrt, nachdem die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sie schon zur „Botschafterin des Gewissens“ gemacht hat. Sie steht für die Kraft eines jeden Menschen, ob jung oder alt, stark oder schwach, sowieso einflussreich oder scheinbar unbedeutend, Veränderung hin zu einer lebenswerteren, friedvolleren, gerechteren Welt bewirken zu können. Sie rüttelt uns auf. So wie zu Jesu Zeiten, Johannes der Täufer, der Rufer in der Wüste, mit seiner scharfen Zunge (vgl. das Evangelium des 2. Adventssonntags: Matthäus 3,1-12). „Jetzt ist die Zeit zu handeln“, rufen uns Johannes und Greta zu, wie noch andere Stimmen auch. Was daraus werden kann, malt die Jesaja-Lesung aus: herrliche Ruhe als Ausdruck eines friedvollen und heilsamen Miteinanders.
Jede*r Einzelne hat Anteil an einer besseren Zukunft, die ja in jedem nächsten Augenblick beginnt. Mit Hoffnung im Gepäck ist das Ansporn, oder?
Inga Schmitt