Frohgemut ins Weite
Der Herr hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren, als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren. Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren und alle Schollen des Festlands. Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, als er droben die Wolken befestigte und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer, als er dem Meer sein Gesetz gab und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften, als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.
Sprüche 8,22-31
In diesen Tagen feiern wir das Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Viele Christ*innen tun sich nicht leicht mit den steilen dogmatischen Aussagen über den dreifaltigen Gott.
In der Präfation, dem Eingangswort für das Hochgebet an diesem Festtag, heißt es: „Mit deinem eingeborenen Sohn und den Heiligen Geist bist du der eine Gott und der eine Herr, nicht in der Einzigkeit einer Person, sondern in den drei Personen des einen göttlichen Wesen … So beten wir an im Lobpreis des wahren und ewigen Gottes die Sonderheit in den Personen, die Einheit im Wesen und die gleiche in der Herrlichkeit.“ Dieser Lobpreis verherrlicht den Gott, an den wir glauben. Aber in dieser Formulierung bleibt er unserem Verstehen eher fern und fremd. Das heißt aber nicht, dass Christ*innen nicht tief in ihrem Herzen eine Ahnung von diesem Geheimnis haben, das wir Gott nennen.
Wenn wir über Gott sprechen, kann es darum sinnvoll sein, im Gespräch mit ihnen an diese Ahnung und die damit verbundene Sehnsucht anzuknüpfen.
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Henri Nouwen, ein geistlicher Einflussführer, hat einmal seine Erfahrung aus vielen Gesprächen mit suchenden Studenten deren Wünsche so zusammengefasst: „Sprich uns von der tiefsten Sehnsucht unseres Herzens, sprich uns von unseren vielen Wünschen, sprich zu uns von der Hoffnung; nicht von allen möglichen Überlebensstrategien, sondern vom Vertrauen; nicht über neue Methoden zur Befriedigung unserer emotionalen Bedürfnisse, sondern über die Liebe. Sprich zu uns von einer Sicht, die größer als unsere sich ständig wandelnden Gesichtspunkte ist, und von einer Stimme, die tiefer dringt als das Geschrei unserer Massenmedien. Ja, sprich uns von etwas und jemand, das oder der größer ist als wir selbst. Sprich zu uns von – Gott“ (Henri Nouwen, Du bist der geliebte Mensch. Religiös Leben in einer säkularen Welt, Freiburg 1993, 17f.).
Diese Menschen haben eine Ahnung, dass Gott etwas oder einer/eine sein könnte, der/die etwas mit ihrem Bedürfnis nach einer Größe und Macht zu tun hat, die ihren normalen Alltag übersteigen; die einen Horizont öffnen, der Weite und Tiefe ins Leben bringt. Menschen, die diese Bitte äußern „Sprich uns von Gott“ sind also
- Menschen, die nicht ungläubig sind, höchstwahrscheinlich wenig mit den offiziellen Ausdrucksformen der Religion zu tun haben, die aber wissen und spüren, dass es im Leben mehr geben muss, als nur die Strategie, irgendwie gut durch diese Erdenzeit zu kommen.
- Menschen, die sich über die Schönheit der Natur und der Liebe wundern können, Menschen, die erschrecken vor dem unbegreiflichen Geheimnis des Bösen.
- Menschen, die hinreichend gut ihre Beziehung in Ehe, Freundschaft, Arbeitsverhältnissen gestalten.
- Menschen, die mit ihrer Sehnsucht nach einem guten Miteinander ein fernes Abbild des beziehungsreichen Gottes sind, den wir am Fest der Dreifaltigkeit verehren.
So möge die „Frohgemutheit“ der Weisheit, die die Lesung rühmt und die Gottes beziehungsreiches Wesen ausmacht, unser Leben in die Weite, in die Leichtigkeit und in die Tiefe führen.
Pater Franz Richardt