Sehnsucht nach Jesus

Person sitzt an See
Bild: pixabay.com, Pexels

Sie brachten das Fohlen zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg aus, andere aber Büschel, die sie von den Feldern abgerissen hatten. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!

Markus 11,7-9

Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: Ach, du willst den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen? Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz! Ebenso verhöhnten ihn auch die Hohepriester und die Schriftgelehrten und sagten untereinander: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten.

Markus 15,29-31

 

Was wäre ich damals gerne dabei gewesen: Auf dem Weg nach Jerusalem, wie Jesus auf einem Esel und Drumherum seine Freund*innen und Wegbegleiter*innen. Was müssen die Menschen am Wegesrand schon von diesem Jesus gehört haben, was muss er für eine Ausstrahlung gehabt haben, dass sie ihm so zujubelten. Sicher waren viele auch gerade deshalb auf den Straßen unterwegs: um Jesus zu sehen.

Wie gut kann ich das verstehen. Auch ich habe oft die Sehnsucht danach, Jesus zu sehen, Jesus zu hören. Wie sehr wünsche ich mir manchmal, Jesus zu sehen, der mir Orientierung gibt in alle meinen Fragen und Zweifeln, der mir Halt gibt und Trost. Wie sehr wünsche ich mir manchmal, Jesus zu sehen, der sich entschieden an die Seite der Schwachen und der an den Rand Gedrängten stellt, der gegen Egoismus und Ungerechtigkeit protestiert und Wunden heilen kann. Wie sehr wünsche ich mir manchmal, Jesus zu sehen, der seiner Kirche die Leviten liest, der Machtgebaren und Klerikalismus Grenzen setzt und der seine laute Stimme erhebt, wenn Menschen in der Kirche seinen Segen verweigern wollen, weil (homosexuelle) Liebe angeblich Sünde sei. Wie sehr wünsche ich mir manchmal, Jesus zu sehen: tröstend und heilend  – ein starker Jesus, dem ich zujubeln kann.

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Einige Tage später erleben die Menschen allerdings einen ganz anderen Jesus: verurteilt, verspottet, verzweifelt, machtlos, gekreuzigt. Nichts mit stark, tröstend und machtvoll. Dieser Jesus ist für mich manchmal eine echte Zumutung.

Das erinnert mich an Oskar aus dem Buch „Oskar und die Dame in Rosa“ von Eric Emmanuel Schmitt. Oskar ist ein kleiner Junge, der unheilbar an Krebs erkrankt ist. Oma Rosa, eine ehemalige Catcherin und mittlerweile ältere Dame, die Kinder im Krankenhaus besucht, macht Oskar den Vorschlag, er solle doch Gott Briefe schreiben. Das macht Oskar und schreibt jeden Tag Gott einen Brief: über seine Krankheit, sein Sterben und auch über seine Freude und seine erste große Liebe. Bei einem Besuch gehen Oma Rosa und Oskar zusammen in die Krankenhaus-Kapelle. Oskar bekommt einen Riesenschreck als er Jesus sieht: fast nackt, ganz mager am Kreuz, überall Wunden, die Stirn voller Blut durch die Dornenkrone und ein Kopf, der dir nicht mal mehr gerade auf den Schultern sitzt. So ein Gott soll ihn trösten, soll ihm Halt geben? So einem Gott kann man doch nichts zutrauen, wenn er so etwas mit sich machen lässt!

Wirklich schwer vorzustellen, so ein Gott. Wirklich schwer auszuhalten, Jesus so zu sehen, ganz und gar nicht stark und allmächtig, sondern verletzlich und leidend … Für den kleinen Oskar genauso, wie damals für die Griechen. Auf jeden Fall auch heute für mich.

Doch Oma Rosa stellt Oskar und mir die entscheidende Frage: „Denk nach, Oskar. Wem fühlst du dich näher? Einem Gott, der nichts fühlt oder einem Gott, der Schmerzen hat?“ – „Einem, der Schmerzen hat, natürlich“, antworte Oskar.

Ich habe oft die Sehnsucht danach, Jesus zu sehen …

Gott sei Dank, ist er nicht immer nur stark und kraftvoll, sondern jemand, der das Leid und den Schmerz kennt.

Bernd Overhoff